Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
ihn. Und darunter hatten die von ihm vertretenen Häftlinge natürlich zu leiden. Jetzt fürchtete A. Olsen um sein Leben. Der Mann, der vor ihm stand, richtete eine Pistole auf ihn, die er mit seinen begrenzten Waffenkenntnissen nicht einordnen konnte. Aber sie sah gefährlich aus, und er hatte genug Filme gesehen, um den Schalldämpfer zu erkennen.
    »Das war verdammt blöd von dir, Hansa«, sagte der Mann mit der Pistole.
    Hans A. Olsen haßte seinen Spitznamen Hansa, auch wenn der die natürliche Folge seiner Angewohnheit war, sich immer mit dem A in seinem Namen vorzustellen.
    »Ich wollte doch bloß mit dir darüber reden«, piepste der Anwalt aus dem Sessel, in den er befohlen worden war.
    »Wir haben eine unverbrüchliche Abmachung, Hansa«, sagte der andere mit beherrschter Stimme. »Niemand steigt aus. Niemand singt. Wir müssen absolut sichergehen. Du darfst nicht vergessen, daß es hier nicht nur um uns geht. Du weißt, was auf dem Spiel steht. Bisher hattest du noch nie Einwände. Was du gestern am Telefon geäußert hast, waren Drohungen, Hansa. Drohungen lassen wir uns nicht bieten. Wenn einer hochgeht, gehen alle hoch. Das können wir uns nicht leisten, Hansa. Das kapierst du doch.«
    »Ich habe Papiere!« Ein letzter, verzweifelter Versuch, sich ans Leben zu klammern. Das Zimmer füllte sich mit unverkennbarem Geruch von Kot und Urin.
    »Du hast keine Papiere, Hansa. Das wissen wir beide. Ich muß es jedenfalls darauf ankommen lassen.«
    Der Schuß hörte sich an wie ein kurzes, halbersticktes Husten. Die Kugel traf Anwalt Hans A. Olsen mitten in die Nase, die total deformiert wurde, bohrte sich weiter durch seinen Kopf und riß im Hinterkopf einen übergroßen Krater. Das gehäkelte Deckchen über der Sessellehne wurde rot und grau bespritzt, und auch die einen Meter dahinter liegende Wand bekam große Flecken ab.
    Der Mann mit der Pistole zupfte an dem eng sitzenden Gummihandschuh an seiner rechten Hand und ging.

DONNERSTAG, 1. OKTOBER
    Der Mord an Anwalt Hans A. Olsen wurde in den Zeitungen gebührend behandelt. Er war zu Lebzeiten nie auf der ersten Seite aufgetreten, obwohl er immer wieder wütende Versuche unternommen hatte. Seine Leiche wurde auf insgesamt sechs Titelseiten besprochen. Er wäre stolz gewesen. Seine Kollegen hatten sich voller Respekt geäußert, und obwohl die meisten ihn für ein Arschloch gehalten hatten, zeichnete die Presse das Bild eines hochangesehenen und geschätzten Juristen. Mehrere Zeitungen kritisierten die Polizei, die immer noch und wieder einmal in einem üblen Mordfall keine brauchbaren Spuren hatte. Die meisten gingen davon aus, daß ein unzufriedener Mandant den Anwalt ins Jenseits befördert hatte. Bei Olsens ziemlich begrenztem Mandantenstamm dürfte die Verbrecherjagd also kurz und leicht ausfallen.
    Hanne Wilhelmsen glaubte nicht an diese Theorie. Sie verspürte das Bedürfnis, mit Håkon Sand einige ziemlich wirre Gedanken zu erörtern.
    Sie hatten ganz hinten in der Kantine einen Platz gefunden, einen Fenstertisch mit großartigem Blick auf Oslos weniger bebaute Gegenden. Sie hatten sich Kaffee geholt und beide die Untertasse bekleckert, so daß beim Trinken Kaffee von der Tasse tropfte.
    Hanne Wilhelmsen sprach als erste. »Ehrlich gesagt, Håkon, ich sehe einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden.«
    Sie sah ihn an. Sie wußte nicht, wie ihr Versuchsballon aufgenommen werden würde, und war ehrlich gespannt. Håkon Sand tunkte ein Schokobonbon in den Kaffee, steckte es in den Mund und leckte sich sorgfältig die Finger ab. Es sah schweinisch aus. Dann blickte er sie an.
    »Aber es gibt doch nicht die geringste Parallele«, sagte er leicht resigniert. »Unterschiedliche Waffen, unterschiedliches Vorgehen, unterschiedliche Tatorte, verschiedene Personen und unterschiedliche Zeiten. Du kriegst Probleme mit deiner Theorie.«
    »Hör mal: Kleb nicht bloß an den Unterschieden! Laß uns mal betrachten, was die Fälle verbindet.« Sie war sehr eifrig und zählte die Argumente an den Fingern ab. »Erstens: Die Morde wurden im Abstand von fünf Tagen begangen.« Sie ignorierte Håkon Sands leicht spöttisches Lächeln und seine hochgezogenen Augenbrauen. »Zweitens: Wir haben bisher für keinen der beiden Morde eine Erklärung. Wir haben den Mann vom Akerselv identifiziert. Ludvig Sandersen. Seit vielen Jahren rauschgiftsüchtig und mit einem Vorstrafenregister so lang wie sein Arm. Er ist erst vor sechs Wochen aus dem Knast entlassen worden. Aber weißt

Weitere Kostenlose Bücher