Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
der Zeitung, während die Bahn im Stil moderner Straßenbahnen durch die Straßen wackelte und brummte.
     
    In einer ganz anderen Gegend der Stadt saß ein Mann und hatte Angst vor dem Sterben.
    Hans A. Olsen war genauso durchschnittlich wie sein Name. Die unverkennbaren Spuren von zu viel Alkohol in zu vielen Jahren prägten sein Gesicht. Seine Haut war aufgedunsen, fahl und großporig und wirkte immer ein bißchen feucht. Gerade jetzt schwitzte er heftig und sah älter aus als zweiundvierzig. Bitterkeit ging Hand in Hand mit dem hohen Alkoholkonsum und gab seinem Gesicht einen Ausdruck von Schroffheit und Mißmut.
    Hans A. Olsen war Rechtsanwalt. Zu Beginn seines Studiums hatte er vielversprechend gewirkt und sich deshalb etliche Freunde zugelegt. Seine Jugend in einem pietistischen Milieu in Südwestnorwegen aber hatte alles, was er je an Spontaneität und Lebensfreude gehabt haben mochte, in bleischwere Ketten gelegt. Seinen Glauben hatte er nach wenigen Monaten in der Hauptstadt über Bord geworfen, aber er hatte ihn durch nichts ersetzen können. Die Vorstellung eines rächenden und unversöhnlichen Gottes hatte ihn nie ganz losgelassen, und bei seinem Konflikt zwischen seinem ursprünglichen Ich und dem Traum von einem Studium mit Frauen, Wein und akademischen Leistungen hatte er allzu schnell Trost in den Verlockungen der Großstadt gesucht. Seine Kommilitonen hatten schon damals behauptet, daß Hans A. Olsen seine Geschlechtsorgane wirklich nur zum Pissen benutze. Das war jedoch nicht die ganze Wahrheit. Der Junge hatte früh gelernt, daß Sex gekauft werden konnte. Sein unbeholfenes und unsicheres Auftreten hatte ihm rasch die bittere Erkenntnis eingebracht, daß Frauen nicht in seiner Reichweite lagen. Deshalb hatte er häufig den Straßenstrich aufgesucht und mehr Erfahrung gesammelt, als seine Kommilitonen ihm zubilligen wollten.
    Sein Alkoholkonsum, der sich rasch steigerte, bis er bereits mit fünfundzwanzig Jahren als Alkoholiker galt – was medizinisch gesehen nicht korrekt war –, hinderte ihn daran, ein Examen zu machen, das seinen Fähigkeiten entsprochen hätte. Er bestand mit einer Durchschnittsnote und fand eine Stelle im Landwirtschaftsministerium. Dort blieb er vier Jahre, dann absolvierte er zwei Jahre Praxis als Gerichtsreferendar in Nordnorwegen, eine Zeit, auf die er mit Grausen zurückblickte und die nur ein notwendiges Übel auf dem Weg zur Anwaltskanzlei und zu der Freiheit gewesen war, die er immer gesucht hatte.
    Er hatte drei weitere Anwälte gefunden, in deren Kanzlei ein Platz frei gewesen war. Sie hatten ihn als einen Sonderling mit unkontrollierbaren Wutausbrüchen kennengelernt, aber sie akzeptierten ihn so, wie er war, nicht zuletzt, weil er, anders als alle anderen, Miete und andere gemeinsame Kosten immer pünktlich bezahlte. Sie schrieben das allerdings eher seinem geringen Geldverbrauch zu als einem besonderen Sinn fürs Geschäftliche. Hans A. Olsen war ganz einfach geizig. Er hatte eine Vorliebe für graue Anzüge. Davon besaß er drei. Zwei trug er schon seit über sechs Jahren, und das war ihnen anzusehen. Keiner seiner Kollegen hatte ihn jemals anders bekleidet gesehen. Er gab nur für eines Geld aus: für Alkohol.
    Für kurze Zeit war er aufgeblüht, zur Überraschung aller. Diese Wende in seinem Leben kam dadurch zum Ausdruck, daß er sich öfter die Haare wusch, sich ein teures Rasierwasser leistete, das vorübergehend den grauen, schlampigen Körpergeruch verdrängte, der sein Büro dominierte, und daß er eines Morgens mit neuen und, laut Sekretärin, sehr feschen italienischen Schuhen auftauchte. Die Ursache seiner Verwandlung war eine Frau, die sogar bereit war, ihn zu heiraten. Das passierte, nachdem sie sich drei Wochen gekannt hatten, was in Wirklichkeit an die fünfzig Halbe bedeutete. Die Frau war häßlich wie die Erbsünde, galt aber als lieb, warmherzig und intelligent. Sie war Diakonin, was jedoch auf ihrem Weg zu Scheidung und endgültiger Trennung kein Hindernis war.
    Aber Hans A. Olsen verfügte über eine ganz klare Stärke: Kriminelle waren von ihm begeistert. Er setzte sich wie kaum jemand für seine Mandanten ein. Und da er soviel für sie empfand, haßte er die Bullen. Er haßte sie wild und machte nie einen Hehl daraus. Sein unbeherrschter Zorn hatte im Lauf der Jahre viele Polizisten irritiert und dafür gesorgt, daß die meisten seiner Mandanten viel länger in U-Haft sitzen mußten als andere. Olsen haßte die Polizei, die Polizei haßte

Weitere Kostenlose Bücher