Blinde Seele: Thriller (German Edition)
bebten.
»Nein.« David war entschieden. »Was immer im Kopf dieses Mannes los war – es war längst da, bevor ich dafür gesorgt habe, dass er festgenommen wurde. Bevor er dich tätlich angegriffen hat, Mildred.«
»Diese arme Seele. So gequält …«
»Ich weiß«, sagte David noch einmal.
»Wie sollen wir das je vergessen? Ich weiß, es ist egoistisch, in diesem Augenblick an uns zu denken, aber …«
»Es ist nicht egoistisch«, sagte David. »Es ist menschlich. Und ich nehme an, mit der Zeit wird es leichter. Wie bei den meisten Dingen.«
»Du meinst, wir sollen versuchen, es zu begraben«, flüsterte Mildred.
»So tief wir können«, sagte David. Sie schwiegen beide eine Zeit lang.
»Es gibt immerhin eine Kleinigkeit, für die ich ziemlich dankbar bin«, sagte Mildred schließlich. »Hm?«
»Mein Allerwertester wird überglücklich sein, dieses entsetzliche alte Sofa loszuwerden.«
»Du hast mir immer gesagt, du fändest es bequem«, sagte David.
»Nur verglichen mit meiner alten Parkbank.«
155.
1. Juni
Die Wahrheit über Gregory Wendell, auch bekannt als George Wiley, kam sehr bald nach seinem Selbstmord ans Licht.
Dass er nie Arzt gewesen war.
Dass er ein Betrüger gewesen war, ohne Zulassung für die Ausübung des Arztberufs, ohne echte Qualifikationen, schuldig in mehreren Fällen von Identitätsdiebstahl.
Ein bemitleidenswerter Bursche mit hochfliegenden Zielen, der für eine Weile erreicht hatte, was unmöglich hätte sein sollen, und der offenbar geglaubt hatte, Gutes, nicht etwa Schlimmes zu tun.
In dieser frühen Phase ließ sich unmöglich sagen, wie viel Schlimmes er während seiner »medizinischen« Laufbahn tatsächlich angerichtet hatte.
In seiner Wohnung fand man zwei Apothekerschränkchen, ein Mikroskop und ein medizinisches Modell, das früher in einer Schule benutzt worden war, um die Patientenpflege zu üben. Im Kühlschrank entdeckte man eine Sammlung von Schweineaugen. Außerdem hatte er einen faszinierenden Lebenslauf hinterlassen, der schwere Straftaten und kleinere Vergehen als Leistungen und Verdienste anführte, sowie ein mit Lesezeichen versehenes Zitatenlexikon und drei hübsch gedruckte Fassungen des Hippokratischen Eides, die Apollon als seinen Zeugen benannten.
Und das Letzte beim Google-Suchverlauf auf seinem Computer: wie man einen Scheiterhaufen errichtete.
156.
7. Juni
Thomas Chauvin war allein zu Hause in Straßburg.
Allein und doch nicht allein.
Er hatte seine Fotos, um sich warm zu halten.
Bis vor Kurzem war es immer die andere Grace gewesen, die seine Wände geschmückt hatte. Herrliche große Schwarz-Weiß-Aufnahmen in jedem Zimmer, kleinere, intimere Farbfotos in Rahmen auf Beistelltischen. Jedes Buch, das es über sie gab, stand auf Regalen, neben sämtlichen erhältlichen Kinofilmen und Fernsehsendungen, in denen sie je aufgetreten war. Dazu Alben, gefüllt mit Zeitungsausschnitten und Fotos.
Aber mit keinem von seinen Fotos.
Das würde sich jetzt ändern.
Er hatte mit der Arbeit an seinen Aufnahmen von Catherine begonnen und hatte die alten Reportagen über ihre persönliche Tragödie und die späteren Dramen heruntergeladen. Er erwartete weiteres Material von seiner Presseausschnitt-Agentur. Vor allem hatte er große Pläne, wie er ein paar seiner eigenen Aufnahmen von ihr verwenden könnte, und mit Adobes Hilfe und seinem eigenen Talent und Geschick …
Einer seiner frühen Versuche schmückte bereits die Wand gegenüber seinem Bett.
Eine Inspiration, die in seinem Kopf aufgeleuchtet war wie ein Blitzlicht, als er in ihrer Wohnung gewesen war.
Ein Remake von Das Fenster zum Hof . Kleines, schwarzes, schulterfreies Kleid. Dreifache Perlenkette. Nicht der schockierte Kelly-Blick, aber auf jeden Fall ein irritierter, beinahe wütender Gesichtsausdruck. Das Foto war in Catherines Wohnzimmer aufgenommen worden, während sie ihre Voicemail abgehört hatte, und sie war ein bisschen sauer auf ihn gewesen, weil sie ihn gebeten hatte, aufzuhören …
So sexy.
Er streckte sich auf seinem Bett aus und betrachtete das Bild.
Sah sie an.
Mikas Stimme kam aus Lautsprechern überall in seiner Wohnung.
»Je prends les poses de Grace Kelly …«
Das Leben war schön.
Voller Versprechungen.
Und eines Tages würde es noch schöner werden.
Da war Thomas Chauvin sich ganz sicher.
157.
10. Juni
Sam hatte sofort gewusst, dass er hinfahren würde, kaum dass er die Bitte erhalten hatte.
Martinez war dagegen gewesen, aber Sam ließ sich nicht
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