Blinde Seele: Thriller (German Edition)
glauben, dass wir Freundinnen werden.«
»Hey«, sagte Carlos Delgado. »Sei nicht frech.«
»Ihre Tochter sagt nur, was sie fühlt«, sagte Grace. »Und sie soll wissen, dass sie aufrichtig zu mir sein kann.«
*
»Und? Was meinen Sie?«, fragte Delgado.
Sein Wohnzimmer war betont maskulin, mit einer gut gefüllten Bar, Möbel in dunkelgrünem Leder und einem riesigen Flachbildfernseher.
»Wir haben einen Anfang gemacht«, antwortete Grace.
»Haben Sie Felicia nach ihrer Mutter gefragt?«
»Nein.«
»Aber wenn sie Zeugin war …«
»Das wissen wir noch nicht«, sagte Grace.
»Wenn Felicia redet«, sagte Delgado, »wird die Polizei sie vernehmen wollen.«
»Das stimmt«, gab Grace ihm recht. »Aber ich glaube nicht, dass sie bereit ist, sich mit der Polizei zu unterhalten.«
»Werden Sie es Ihrem Mann sagen?«, fragte Delgado.
»Falls er mich um meine professionelle Meinung fragt«, sagte Grace, »werde ich ihm genau das sagen.«
64.
An diesem Abend rief Larry Smith bei Sam an. Larry hatte an Billies Schule angerufen. Billie war seit fast einer Woche nicht zum Unterricht erschienen, hatte man ihm gesagt, und die Schule hatte keinerlei Informationen über irgendeine Teilzeitarbeit, der Billie möglicherweise nachging.
»Und bis jetzt«, sagte Sam später zu Grace, als sie bei einem vegetarischen Chili mit Couscous am Küchentisch saßen, »scheint auch keiner von Billies Mitschülern irgendetwas zu wissen.«
»Du machst dir wirklich Sorgen um sie.«
»Ich bin beunruhigt, ja«, sagte Sam. »Aber die Entscheidung, ob und wann sie Billie tatsächlich als vermisst ansehen wollen, liegt bei ihren Eltern.«
»Ich hoffe, es geht ihr gut.« Grace hielt einen Moment inne, ehe sie das Thema wechselte. »Du kannst mich übrigens gern nach Felicia Delgado fragen.«
»Ich wollte warten, bis du selbst damit anfängst. Professionelle Höflichkeit.«
»Ich kann dir natürlich nicht viel sagen«, erklärte Grace. »Aber du kannst fragen.«
»Hat sie mit dir geredet?«
»Ein bisschen.« Grace hielt einen Moment inne. »Wir haben immerhin einen Anfang gemacht.«
»Und in der Zwischenzeit ist jede Stunde, die verstreicht …« Sam schüttelte den Kopf.
»Aus Sicht der Ermittlungen verloren«, ergänzte Grace. »Ich weiß. Leider hatte ich ein bisschen Pech. Ich hatte gerade eine Verbindung zu Felicia hergestellt, als ihr Vater ins Zimmer kam. Ich werde versuchen, das Mädchen so bald wie möglich wieder aufzusuchen.«
Sam legte seine Gabel hin. »Könnte es sein, dass Delgado deine Zeit mit dem Mädchen absichtlich verkürzt hat?«
»Warum sollte er? Er selbst hat doch den Anstoß dazu gegeben, dass ich sie mir ansehe«, sagte Grace.
»Ich weiß.« Sam dachte einen Augenblick nach. »Und wo hast du mit ihr gesprochen?«
»In ihrem Schlafzimmer.«
»Wie sah das Zimmer aus?«
»Gemütlich. Ich nehme an, dass sie dort vermutlich schon früher übernachtet hat.«
Sam nahm noch einen Bissen Chili, dann zögerte er. »Ist dir zufällig aufgefallen, ob sie dort eine Bibel hatte?«
»Warum fragst du?«
»Ist es dir aufgefallen?«, fragte er leise.
Grace nahm an, dass die Frage darauf hinauslief, ob Felicia noch immer als Verdächtige im Mord an ihrer Mutter infrage kam.
Sam machte nur seinen Job, aber das bedeutete nicht, dass es Grace gefallen musste.
»Nein, ist mir nicht aufgefallen«, sagte sie.
Sie wusste, dass Sam ihre Lüge spürte, aber seine dunklen Augen ruhten warm und verständnisvoll auf ihr.
Und das gefiel ihr.
65.
25. Mai
Am Mittwochmorgen um neun Uhr fünfunddreißig erklang der Summer von Magdas Bürosprechanlage.
»Ja bitte?«, fragte sie.
»Ist Dr. Lucca da?«, erkundigte sich eine männliche Stimme mit einem Akzent, den Magda nicht auf Anhieb einordnen konnte.
»Haben Sie einen Termin?«, fragte sie.
»Leider nein«, sagte er. »Ich bin unerwartet hier. Wir haben uns kürzlich in Zürich kennengelernt.«
»Ihr Name?«, fragte Magda in dem Augenblick, als Grace in den Eingangsbereich kam.
»Thomas Chauvin«, erklang die Stimme über die Lautsprechanlage.
»Großer Gott!«, stieß Grace hervor.
*
Der junge Franzose entschuldigte sich, ohne Voranmeldung vorbeigekommen zu sein.
»Ich bin für einen Monat in Miami«, sagte er zu Grace und Magda, »in der Hoffnung, Material für ein neues Projekt zu finden.«
»Was denn für ein Projekt?«, fragte Magda.
»Es geht um Verbrechen«, antwortete Thomas.
Er erklärte nichts weiter, und keine der beiden Frauen bedrängte ihn.
»Und
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