Blinde Seele: Thriller (German Edition)
trotz aller Bemühungen, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, war sie nach einer fast schlaflosen Nacht blass und nervös.
»Ich möchte gern, dass du ein leichtes Beruhigungsmittel nimmst«, hatte David gesagt, dem Mildreds Unruhe nicht entgangen war. Er hatte damit gerechnet, dass sie ablehnen würde, und deshalb hinzugefügt: »Keine Bange, du verlierst nicht die Kontrolle über dich. Aber es wird dir helfen, deine Angst ein bisschen zu lindern.«
»Wie wär’s mit zwei Tabletten?«, hatte Mildred vorgeschlagen.
»Das wird nicht nötig sein«, hatte David lächelnd erwidert.
»Das war kein Witz«, hatte sie gesagt.
Das Beruhigungsmittel sorgte zwar dafür, dass Mildred in Dr. Sutters Praxis sitzen blieb und nicht das Weite suchte, so wie damals in New York, aber ihre Angst war noch immer unübersehbar.
»Ich weiß nicht, ob es etwas hilft«, sagte Dr. Sutter zu ihr, »aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie damit keineswegs allein dastehen. Mir sind in meiner Zeit schon viele nervöse Patienten begegnet.«
Mildred hatte sich bei ihm bedankt, und der Arzt hatte ihr vorgeschlagen, sich alle Fragen für später aufzuheben und erst einmal die Untersuchung hinter sich zu bringen. Mildred wusste, dass im Grunde alles kinderleicht war, aber sie hatte jede Sekunde der Untersuchung gehasst und nur mit Mühe durchgehalten, bis sie zur Spaltlampenuntersuchung kamen.
Dr. Sutter bat sie, das Kinn und die Stirn auf eine Stütze zu legen. Mildred seufzte tief und ergab sich in ihr Schicksal. Sie wusste nicht, wie viel mehr sie noch verkraften konnte.
Der Arzt verabreichte ihr Tropfen, um ihre Pupillen zu erweitern, die daraufhin ein wenig brannten.
»Und jetzt müssen Sie ein bisschen warten«, sagte Ralph Sutter.
»Und wie lange?«, fragte Mildred bang.
»Es kann eine Viertelstunde oder ein bisschen länger dauern, bis die Tropfen wirken.«
»Ich weiß nicht …«, sagte Mildred.
»Das muss sein«, sagte David, »damit Ralph die Rückseite deiner Augen sehen kann.«
»Es muss vielleicht sein, aber das heißt nicht, dass ich es noch länger aushalten kann.«
»Wenn Sie nicht mehr können, Mrs. Becket, ist das auch in Ordnung«, sagte der Arzt. »Auch wenn es jetzt, wo wir Ihnen die Tropfen verabreicht haben, schade wäre, die Gelegenheit zu versäumen, die Untersuchung abzuschließen.«
»Ich kann diese grässlichen Tropfen schmecken«, beklagte sich Mildred. »Wie kann das sein?«
»Sie sickern durch deine Tränenkanäle«, sagte David zu ihr.
»Dich habe ich nicht gefragt!«, fuhr sie ihn an.
Mildred wusste, dass sie sich anstellte, aber sie konnte einfach nicht anders. Außerdem wurde ihr Sehvermögen nun schon seit einer Weile immer verschwommener, und die Augen brannten schlimmer als zuvor, sodass sie befürchtete, zu erblinden.
Manchmal gab es Dinge, denen man sich einfach nicht stellen konnte. Und wenn man glaubte, man könne damit davonkommen, steckte man einfach den Kopf in den Sand.
Wodurch man natürlich auch nicht klüger wurde.
Aber sie hatte einen klugen und guten Mann geheiratet.
Und deshalb war sie nun hier.
Was aber nicht hieß, dass es ihr gefallen musste …
Dann aber gab sie sich einen Ruck. Du hast in den Jahren als Obdachlose Schlimmeres mitgemacht, sagte sie sich. Es gibt Dinge, mit denen man sich offen auseinandersetzen muss, auch wenn sie hart sind.
12.
Papierkram-Dienstag für Sam und Martinez.
Die letzten beiden Wochen war es still gewesen im Dezernat für Gewaltverbrechen. Ein bewaffneter Raubüberfall – Verdächtiger binnen weniger Stunden festgenommen. Ein sexueller Übergriff – Verdächtiger noch am Tatort gefasst. Eine schwere Körperverletzung – ebenfalls mit Festnahme.
Gute Arbeit.
Die Detectives Cutter und Sheldon suchten einen bewaffneten Autoräuber. Auf den Straßen und in ein paar Nachtklubs waren Leute in Schlägereien geraten – das Übliche.
Falls jemand kürzlich ein Messer oder eine Pistole gezückt oder benutzt hatte, war es dem Miami Beach Police Department jedenfalls nicht gemeldet worden.
Vielleicht lag nicht unbedingt Liebe in der Luft über Miami, aber eine Art Frieden.
Und es gab viel Papierkram zu erledigen.
Das Übliche.
*
Um fünf nach eins rief Grace aus Zürich an. Ihr Tag auf der Konferenz war eben zu Ende gegangen.
»Ich gehe heute mit ein paar Vortragsrednern zu Abend essen«, erzählte sie Sam. »Ich weiß noch nicht, wohin, aber sie scheinen eine nette Truppe zu sein. Und die Stadt ist wunderbar. Aber erzähl mal, wie
Weitere Kostenlose Bücher