Blinde Voegel
nach der Seelenmesse», fuhr Ribar fort und zog sein Aufnahmegerät aus der Jackentasche, nur um es sofort wieder zurückzustecken. «Und jetzt das. Mein Gott.»
«Offiziell ist noch nichts bestätigt», wiederholte Beatrice Florins Worte. «Sie werden sich also wohl oder übel noch ein wenig gedulden müssen.»
«Darum geht es mir doch gar nicht!» Er atmete geräuschvoll aus. «Ich fühle mich nicht mehr sehr wohl in meiner Haut, wenn Sie verstehen, was ich meine.»
Das kam überraschend. «Hat jemand Sie bedroht?»
«Nein. Aber alle, die sterben, sind aus Salzburg. Oder jedenfalls in Salzburg. Ist offensichtlich kein guter Ort für die Mitglieder der Gruppe, und zu denen gehöre ich auch.»
«Dann melden Sie sich doch ab.»
Er schien diese Möglichkeit zu erwägen. «Na ja. Nicht mehr zu erfahren, was dort los ist, würde mich ebenso beunruhigen, aber …» Er schob sich die Kappe aus der Stirn und trat einen Schritt näher an Beatrice heran. «Haben Sie denn noch gar keinen Anhaltspunkt?»
Also doch. Ribar täuschte persönliche Besorgnis vor, um an Informationen zu kommen. «Keinen, den ich Ihnen verraten würde. Wie steht es übrigens umgekehrt? Recherchieren Sie noch eifrig bei Facebook?»
«Immer wieder mal.»
«Sehr groß ist Ihr Einsatz aber nicht, sonst hätten Sie doch gestern Iras Seelenmesse besucht. Mein Kollege war erstaunt, dass Sie nicht aufgetaucht sind.»
Das schien Ribar unangenehm zu sein. «Meinem Verständnis nach», sagte er langsam, «sind solche Anlässe für Angehörige und enge Freunde gedacht. Nicht für Fremde.»
In diesem Punkt widersprach sie ihm nicht. Er hatte ihr nun das Profil zugewandt und beobachtete, wie die Bestatter den Sarg zum Wagen trugen, folgte ihm mit den Augen, bis die Hecktüren sich schlossen.
«Haben Sie schon überprüft, ob sich jemand im Wald versteckt?» Wenn das keine Angst war, die Beatrice in seiner Stimme hörte, dann zumindest Sorge. «Oder ob einer von den Leuten hier gar kein Journalist ist?»
Merkwürdige Bedenken, die Ribar da äußerte. «Sie sollten Ihre Kollegen doch kennen, wenigstens vom Äußeren her. Die beiden da drüben, zum Beispiel, sind bei jeder Pressekonferenz, die wir geben.»
«Sie haben recht. War nur so eine Idee.»
Gemeinsam gingen sie in Richtung Parkplatz, wo er seinen silberfarbenen Peugeot geparkt hatte, nur wenige Meter von Florins Auto entfernt. «Können Sie schon abschätzen, wann Ehrmanns Name und die weiteren Details freigegeben werden?»
«Im Lauf des heutigen Tages. Je nachdem, wann wir seine Angehörigen erreichen.»
«Gut.» Er wippte auf den Zehenballen, nicht ungeduldig, eher zögernd. «Übrigens, ich weiß ja nicht, wann Sie das letzte Mal in die Facebook-Gruppe hineingesehen haben, aber dort benehmen sich ein paar Leute – wie soll ich sagen? Auffällig.»
«Und wer ist das?»
«Tina Herbert und Nikola DVD haben sich eine merkwürdige Art zu posten angewöhnt. Zufallsbilder und Gedichtfetzen. Wenn ich Polizist wäre, würde ich auf die beiden ein Auge haben.» Er lächelte verhalten. «Ich wäre ein ganz guter Polizist, glaube ich.» Als Ribar gefahren war, setzte sich Beatrice auf die Stufen des Klosters und kämpfte gegen einen ihrer alten Feinde an: das Gefühl, rechts und links ihres Weges Tote zu hinterlassen. Es hatte mit Evelyn begonnen, der besten Freundin, die sie je gehabt hatte. Ehrmann bildete den vorläufigen Schlusspunkt. Sie waren sich ein einziges Mal begegnet, doch das hatte offenbar ausgereicht, dass er am nächsten Tag mit eingeschlagenem Kopf gefunden wurde.
Idiotisch, schalt sie sich selbst. Wenn du keine Leichen mehr sehen willst, musst du den Job wechseln.
Es war fast neun Uhr, als sie den Kapuzinerberg verließen. Beatrice fühlte sich ausgehöhlt, und der Gedanke, dass der ganze Tag noch vor ihr lag, weckte in ihr den heftigen Wunsch, mit jemandem zu tauschen.
Das Notebook zu starten, kaum dass sie im Büro war, schien ihr die am einfachsten zu bewältigende Aufgabe zu sein. Doch auf Facebook herrschte Ruhe. Von Ehrmanns Schicksal hatte noch niemand erfahren, und Nikola DVD hüllte sich bislang in Schweigen. Dafür traten andere Mitglieder aus dem Schatten. Die Namen sagten Beatrice überhaupt nichts: Olga Gross-Mikel, Timm Kressner, Nadine Rechinger.
Sie war drauf und dran, die Seite wieder zu schließen, besann sich aber eines Besseren. Sobald Ehrmanns Name durch die Presse ging, würde die Hölle los sein. Wenn sie es noch schaffen wollte, jemanden zu ködern,
Weitere Kostenlose Bücher