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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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die Augen länger offen zu halten, obwohl sie das Geschehen gern weiter beobachtet hätte, ihr Körper schrie nach einer Pause. Sie klappte das Notebook zu, mit dem festen Vorsatz, den Rest der Kommentare gleich morgen zu lesen, vielleicht noch bevor sie die Kinder weckte.
    Der Schlaf kam über sie, kaum dass sie sich auf dem Bett ausgestreckt hatte, er war wie eine gewaltige, schwarze Welle, der sie nichts entgegenzusetzen hatte und die alles, was eben noch Sinn und Zusammenhang gehabt hatte, durcheinanderwirbelte und davonriss.

Ich glaube, ich habe etwas begriffen, und wenn das kein Irrtum ist, dann muss ich schneller machen als gedacht. Ich bin die Rolle des Gejagten nicht gewohnt, sie gefällt mir nicht, und ich laufe Gefahr, Fehler zu machen.
    Manche Erinnerungen sind lückenhaft, andere glasklar. Ich konnte mir schon immer Gesichter besser merken als Namen. Doch dieser eine Name bringt Bilder zurück, von denen ich mich längst verabschiedet hatte. Andere haben das, wie es scheint, nicht getan.
    Ich versuche mich an Zuordnungen. Alter, Geschlecht, Name? Nichts lässt sich mit Sicherheit sagen. Ich wünschte, Ira und ich hätten mehr Zeit gehabt.
    Zeit – das Stichwort schlechthin. Ich brauche eine Menge davon, um alles Nötige in die Wege zu leiten. Die Welt ist groß und ihre Möglichkeiten unendlich. Auch wenn ich es nicht will, werde ich eine weitere von ihnen ausschöpfen müssen, aber die muss ich gut wählen.
    Dieser Name. Ich habe gehört, wie er geschrien wurde, immer und immer wieder, wahrscheinlich ist er mir deshalb noch gegenwärtig. Vor drei Nächten waren die Schreie in meinen Träumen, und zum ersten Mal hatte ich Angst. Seitdem ist sie mein Begleiter, der Kaffee schmeckt danach, meine Kleidung riecht danach.
    Wie viele Menschen braucht man, um jemanden einzukreisen? Im Moment fühlt es sich so an, als wäre ein einziger ausreichend.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel sechzehn
    E hrmann war am nächsten Morgen immer noch Thema Nummer eins in den Nachrichten. Beatrice hatte das Radio so laut gedreht, dass man es vermutlich noch in der Nachbarwohnung hörte, aber sie wollte nichts verpassen. Mittwoch. Achim-Tag. Sie packte den Kindern ihre Übernachtungssachen.
    «Vergiss die Tasche nicht im Klassenzimmer, bevor du gehst, Mina.»
    « Ich vergesse gar nichts. Aber hast du auch Jakobs blöden Kuschelhasen eingepackt?» Mina blickte dabei kein einziges Mal hoch, ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihrem iPhone, das sie im Moment dazu benutzte, rote Vögel auf grüne Schweine zu schießen. «Er hat letztes Mal total herumgezickt, weil er ohne schlafen gehen musste.»
    «Flausch ist nicht blöd», protestierte Jakob, den Mund voller Cornflakes.
    «Mina, iss bitte dein Frühstück und leg das Handy weg.»
    «Das hab ich von Papa bekommen!»
    Was kein Argument war, natürlich nicht, aber dummerweise funktionierte es trotzdem. Jedes Mal, wenn Beatrice etwas Kritisches über das Handy sagte, bezog Mina es sofort auf ihren Vater.
    «Papa findet es auch nicht gut, wenn du zu spät kommst. Wir müssen in fünf Minuten aus der Tür sein, also Tempo. Bitte!»
    Sie unterdrückte das Bedürfnis, die knappe Zeit noch für einen Blick auf Facebook zu verwenden. Das sollte sie besser im Büro machen. Um Mina nicht bei ihrer enervierend langsamen Nahrungsaufnahme zusehen zu müssen, überprüfte sie noch einmal den Inhalt der Tasche. Alles da, auch der Hase.
    Als sie endlich im Auto saßen, war Beatrice schon wieder erschöpft. Egal. Spätestens, wenn sie Florin ihre Erkenntnisse rund um den «Panther» präsentierte, würden ihre Lebensgeister zurückkehren.

    «Ein deutscher Söldner namens Frank Heckler. Ums Leben gekommen durch eine Landmine im August 1993.» Sie schob Florin das Notebook hin und widmete sich ihrem Kaffee, auf dem der Milchschaum knisterte. Möglich, dass Florin ihre Überlegungen nicht überzeugend fand, aber in diesem Fall würde sich zumindest eine Diskussion ergeben, die sie mit jemand anders führen konnte als mit sich selbst. Das erleichterte Beatrice.
    «Wenn es ein Zufall ist, dann ein sehr eigenartiger», stellte er mit leiser Stimme fest. «Panther, hm. Ich werde die Unterlagen zu diesem Mann aus Deutschland anfordern. Kann ja sein, dass es Verwandte gibt, die auf irgendeine Weise in unserem Fall mitmischen.» Florin sah sie über den hochgeklappten Notebookdeckel hinweg an. «Können wir zum Beispiel ausschließen, dass Dominik Ehrmann sein Neffe oder Cousin war? Wir brauchen mehr

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