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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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widersetzt oder ihm die Nase bricht, sondern kriegt ohne viel Diskussion eine Kugel ins Gesicht. Klare Verhältnisse.
    Zosim ist nicht so schnell von Begriff, ihn müssen sie von dem alten Mann wegzerren, dem er gerade die Kehle durchgeschnitten hat. «Panther sagt, aufhören», schreit Rajko und versetzt erst Zosim, dann dem Toten zu seinen Füßen einen Tritt. «Männer nach links, Frauen nach rechts, aber zack!», kommandiert er.
    Ein Stück weiter die Hauptstraße rauf steigt eine Feuersäule in den Nachthimmel. Da wollte wohl jemand nicht hören und ist im Haus geblieben.
    «Wir haben einen Ring um das Kaff gezogen», knirscht Negovans Stimme durchs Funkgerät.
    «Verstanden.» Der Ring ist wie ein Fischernetz. Die Leute dürfen durch, manchmal, aber Schmuck und Geld bleiben hängen. Ohne Ausnahme.
    Ein paar von den Weibern heulen und drücken ihre Bälger an sich, aber ansonsten ist es ruhiger jetzt. Kaum noch Schüsse, keine Granatenexplosionen. Ich stelle mich in Position, so, dass mich alle sehen können.
    «Euer Dorf ist nicht mehr euer Dorf», brülle ich. «Wer klug ist, gibt sein Geld und alles, was wertvoll ist, freiwillig heraus.» Eine Maschinengewehrsalve in einiger Entfernung verleiht meinen Worten das richtige Gewicht. Keiner grinst über meinen Akzent.
    «Wer ist hier der Bürgermeister?»
    Erst rührt sich niemand, dann schieben sie einen fetten Schnurrbartträger vor, ich packe ihn an seinem zitternden Doppelkinn. «Sag deinen Leuten, dass sie kooperieren sollen. Und du, geh mit gutem Beispiel voran.» Ich stoße ihn in Richtung des Rathauses. Der Dicke zieht einen Schlüssel aus dem Hosensack, lässt ihn fallen, sucht mit nackten Fingern im Schnee. Als er ihn gefunden hat, reiße ich ihn ihm aus der Hand. «Ist doch längst offen, Idiot. Die Kasse. Wo ist die?»
    «In meinem Büro. Zweiter Stock. Ich zeige es Ihnen.»
    Die Treppen hinauf, wir zu viert, er allein. Er ist langsam und keucht, das fette Schwein. Momcilos Bajonett zielt auf seinen Arsch und sticht zu. Nicht sehr fest, aber doch so, dass der Dicke endlich Tempo macht.
    Sein Büro wird mein Quartier, klare Sache. Die Couch in der Ecke ist breit und sieht weich aus. In der Kasse klirrt Kleingeld, dazwischen ein paar Scheine, viel ist es nicht. Jetzt muss der Dicke mit Momcilos Enttäuschung fertig werden, er winselt durch seine gebrochene Nase und versucht, mit den Händen seine Eier zu schützen, aber der eigene Bauch ist ihm im Weg. Es tut gut, nach einem so langen Tag endlich etwas zu lachen zu haben.
    Das Gebäude links vom Rathaus ist die Schule, dort sperren wir die Frauen in die oberen Räume, die Männer pferchen wir in den Heizungskeller.
    «Warum machen wir sie nicht gleich tot», murrt Zosim, dem das alles zu mühsam ist. Auch Dragan, der wider Erwarten noch lebt, vom LKW ins Rathaus zu tragen, hält er für eine sinnlose Anstrengung. «Krepiert doch sowieso. In dem Kaff gibt es keinen Doktor, nur einen Tierarzt.»
    Dafür finden wir genug zu essen, die Speisekammern von Gornja Trapinska sind gefüllt. In einem der geräumten Häuser setze ich mich mit Rajko und einer Flasche Slivovic vor den Fernseher, und wir zeigen dem redenschwingenden Franjo Tudman den Mittelfinger, bevor Rajko den Apparat zusammenschießt.
    Dann ist die Flasche leer und Rajko voll, und er fängt an, ohne Punkt und Komma zu schwafeln. Warum die Serben im Recht und die Kroaten Verbrecher sind. Warum das, was wir tun, wichtig und gut ist.
    Ich höre ihm nur mit einem Ohr zu, Politik ist mir scheißegal. Ich bin hier, um mir zu nehmen, was ich haben will. Rajko würde mir ein Loch in den Bauch schießen, wenn er das wüsste. Aber mich interessiert nicht mal, auf welcher Seite ich kämpfe, solange es die Siegerseite ist. Serben, Kroaten, Bosniaken, Kakerlaken – wenn es nach mir geht, dürfen sie sich alle gegenseitig aufschlitzen und langsam verrotten, dann wäre das Land menschenleer, und das wäre eine echte Bereicherung. Weil es wirklich schön ist, das Land.
    Bevor wir gehen, drehen wir im Haus alles um. Unter einer Matratze entdecke ich Geld, glatte Scheine, mit einem roten Wollfaden zusammengehalten. Aber keinen Schmuck, keine Sparbücher. Egal, morgen finden wir mehr, wir werden ja Hilfe haben.
    Danach will Rajko natürlich noch in die Schule, sich was aussuchen. Geht mir genauso. Das Mädchen hat braune Locken und ziemlich was in der Bluse, sie sagt nichts, wehrt sich nicht, als ich sie aus dem Zimmer zerre.
    Auf dem Weg zum Rathaus begegnet uns

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