Blinde Voegel
Momcilo, besoffen und bester Laune. Er winkt uns zu, mit einem Arm, der nicht sein eigener ist.
Der nächste Tag glitzert in der Sonne, weiß und kalt. Wir frühstücken mit Schinken und Bier an einem großen Tisch. Muss mal ein Besprechungsraum gewesen sein, das hier.
Dragan lebt immer noch, einer seiner Leute hat ihm Schnaps über die entzündete Wunde gegossen, er hat gebrüllt wie ein angestochener Ochse. Jetzt ist er bei Bewusstsein, kaut etwas, verwendet beim Essen aber nur eine Hand, weil er mit der anderen seine AK-74 umklammert. Uns sieht er an, als ob er uns nicht mehr traut, er murmelt ein paar Worte vor sich hin, die ich nicht verstehe.
«Die Männer im Keller haben in der Nacht versucht, auszubrechen», sagt Zosim. «Wir sollten die erschießen, oder noch besser anzünden, statt sie zu bewachen.»
«Negovan meint, wir sollen sie einfach laufenlassen», wirft Momcilo ein. «Ein Fußtritt für jeden, und ab in den Wald.»
«Nicht mit mir.» Für Zosim ist die Sache persönlich, jeder tote Kroate macht seine Welt schöner. «Die Weiber, von mir aus. Die sind wenigstens zu was nutze.» Er greift sich lachend in den Schritt. «Aber die Männer sind dran. Ich mach’s auch allein, wenn ihr wollt.» Erst nickt er mir, dann Momcilo zu. «Ist bei der Volksarmee nicht anders.»
Die Kleine, die ich mir gestern geholt habe, drückt sich aus der Tür des Bürgermeisterbüros. Sie ist wieder angezogen. «Darf ich gehen?»
«Einen Scheiß darfst du!» Zosim springt auf, stößt das Mädchen ins Zimmer zurück und knallt hinter ihnen beiden die Tür zu. Kurz darauf beginnt sie zu schreien. Hört nicht mehr auf.
«Zosim, hä? Der hat’s drauf», feixt Momcilo.
Noch mehr Geschrei mischt sich dazu, diesmal von draußen. Ich stehe auf, schaue aus dem Fenster. Ein paar von unseren Jungs haben drei Leute auf den Platz getrieben. Eine Frau, zwei Kinder.
«Wo ist der Panther?», will der Anführer des kleinen Trupps wissen. Einer meiner Männer deutet mit dem Gewehr aufs Rathaus. Unter meinen Stiefeln knarrt der Holzboden, was mich an zu Hause erinnert und mir die Laune verdirbt. Genauso wie das Geschrei aus dem Büro. Ich hämmere mit der Faust gegen die Tür. «Zosim, verdammt!» Kurz darauf ist Schluss mit dem Krach, man kann Zosim vorwerfen, was man will, aber gehorsam ist er.
Draußen schlägt mir Kälte gegen die Stirn und gräbt sich unter meine Kappe. «Was gibt’s?»
Sie schubsen die drei auf mich zu. Eine Frau, ein Junge, ein Mädchen, alle mit vom Heulen verschwollenen Gesichtern. Der Soldat, der vorhin nach mir gerufen hat, deutet mit dem Gewehrlauf auf die Frau. «Wollten raus aus dem Dorf. Negovan hat sie nicht durchgelassen, er meint, die wären was für dich.»
Wozu denn das? Die Frau ist nicht so hübsch wie die, die Negovan sonst zurückgehen lässt , wie er das nennt. Und dass ich weder auf Jungs noch auf kleine Kinder stehe, weiß er auch.
«Hat er gesagt, warum?»
«Du sollst mit ihnen reden.»
Die Frau sieht mich an, ihre Augen sind innen grün und da, wo sie weiß sein sollten, durchzogen von roten Adern. «Ihr habt meinen Mann erschossen. Er hat alles getan, was ihr verlangt habt, aber trotzdem habt ihr ihn erschossen.»
Die Jungs, die um uns herumstehen, lachen, ich verschränke die Arme vor der Brust. Will die Alte sich bei mir beschweren? «Und?»
Sie sieht mich an, als würde sie etwas suchen, das nicht da ist. «Wir wollen nur raus hier. Aus dem Dorf und aus dem Land. Bitte.»
Das letzte Wort sagt sie auf Deutsch. Ah, daher weht der Wind. Negovan will mich ein paar vertraute Klänge hören lassen. Oder mich wieder mal daran erinnern, dass ich keiner von ihnen bin, auch wenn Milan Martić selbst mich zum Anführer unserer Truppe ernannt hat.
Ich antworte ihr auf Deutsch, schon weil ich darauf stehe, wie die Jungs nervös werden, wenn sie nicht wissen, worüber wir reden. «Ihr kommt aus Deutschland?»
Ich kann sehen, wie sie Hoffnung schöpft. «Wir wohnen seit zehn Jahren dort. Darica ist in Stuttgart geboren.»
Stuttgart, Spießerscheißstadt. «Und dann kommt ihr hierher? Wie dämlich kann man sein, hm?»
«Nur für drei Tage. Meine Schwiegermutter ist gestorben, wir wollten –»
Ich schneide ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. «Interessiert mich nicht», sage ich, wieder auf Serbokroatisch.
Momcilo ist aus dem Rathaus gekommen, er stellt sich neben mich. Ich kann die Wurst riechen, an der er kaut. «Was ist mit denen?»
«Nichts. Negovan wollte, dass ich sie
Weitere Kostenlose Bücher