Blinde Voegel
sehe.»
«Können wir gehen?» Die Frau versucht, verbindlich zu lächeln. Sie spricht schon wieder deutsch, die dumme Kuh, glaubt sie wirklich, sie könnte damit Punkte machen bei mir?
«Eine Freundin von dir?» Momcilo spuckt ein Stück Wurst in den Schneematsch und zündet sich eine Zigarette an. Er ist einer von denen, die sich nicht gern etwas von Ausländern sagen lassen, egal, wie gut sie ausgebildet sind. Ihn muss ich immer wieder daran erinnern, wer mich an die Spitze unserer Einheit gesetzt hat.
«Schwachsinn. Ich kenne keine Kroaten.»
«Bitte», sagt die Frau, schon wieder. «Ich habe alles dagelassen. Das Geld, meine Halskette. Das Auto auch, es steht vor dem …»
«Ist mir scheißegal.» Das ist die reine Wahrheit. Warum hält sie nicht die Klappe? Die ist so dumm, die würde keine fünf Kilometer weit kommen. Und niemand soll mir vorwerfen können, dass ich meine Landsleute besser behandle als irgendeinen Jugo.
Die vier Soldaten sehen erstaunt aus, als ich die Pistole ziehe und der Frau zwischen die Augen schieße. Sauber, schnell. Sie hat nicht mal mehr Zeit für einen Schrei.
Dafür kreischt das Mädchen auf, stürzt neben seiner Mutter auf die Knie, wischt ihr mit beiden Händen das Blut aus dem Gesicht. Mama, Mama. Überall das gleiche Geheul, ich habe es satt und außerdem Kopfschmerzen vom Slivovic. Der Hinterkopf der Kleinen ist ein leichtes Ziel, aber da springt ihr Bruder mir von der Seite in die Schusslinie. Er heult ebenfalls, aber leise.
«Nicht», sagt er, auch auf Deutsch. «Sie ist erst sieben Jahre alt.» Danach wiederholt er das Ganze auf Serbokroatisch.
Momcilo nimmt die Zigarette aus dem Mund und packt den Jungen bei den Haaren, zieht ihm den Kopf in den Nacken. «Na? Aus dir könnten wir einen richtigen Tschetnik machen.» Er stößt ihn zu Boden. «Sag: Die Scheiß-Kroaten sollen verrecken!»
Der Junge rappelt sich ein Stück hoch. «Die Scheiß-Kroaten sollen verrecken», schluchzt er.
«Überzeugt mich noch nicht», schnauzt Momcilo. «Lauter!»
Wir fahren herum, alle, als zwei Straßen weiter ein Haus in die Luft fliegt. Meine Kopfschmerzen legen einen Gang zu. «Welches Arschloch kann nicht warten, bis wir hier fertig sind?», schreie ich in Richtung der Gasse, aus der sich eine Staubwolke auf uns zubewegt. Ruß und Dreck färben den Schnee schwarz.
Wenn wir ein Dorf verlassen, stellen wir Kerzen in die oberen Stockwerke der Häuser, unten drehen wir den Gasherd an. Der Rest erledigt sich von selbst.
Während Momcilo und ich uns die Masken vors Gesicht ziehen und Ausschau nach den eigenmächtigen Idioten halten, die für die Explosion verantwortlich sind, wittert der Junge seine Chance. Ich sehe ihn in Richtung Schule abhauen, seine Schwester zerrt er hinter sich her und verschwindet mit ihr in einem schmalen Gässchen.
Pech gehabt, dort bin ich gestern nämlich auch gewesen. Eine Sackgasse, die in der Einfahrt einer Autowerkstatt endet.
Der Rauch verstärkt meine Kopfschmerzen. Ich winke Momcilo und ein paar der anderen Soldaten zu mir. Zosim und Negovan hätte ich auch gern dabei, aber gut. Die Dinge sprechen sich sowieso herum; ich selbst habe auch nicht gesehen, wie Dragan vor zwei Wochen einen Bauern an seine eigene Stalltür genagelt hat, trotzdem kenne ich die Details.
Wenn ein Anführer sich verarschen lässt, vergessen seine Leute das nie. Also schlendern wir in das Gässchen hinein. Es liegt völlig ruhig da, auch aus der Werkstatt kommt kein Geräusch. Beim Hineingehen ziehe ich meine Pistole und vergewissere mich, dass der Junge nicht im toten Winkel wartet, um mir einen Wagenheber um die Ohren zu schlagen.
Aber die Werkstatt ist dunkel und leer, bis einer meiner Leute einen Lichtschalter findet und die Halle in flackernd blasses Neonlicht taucht. Nichts regt sich. Wir verteilen uns, schieben alte Reifen zur Seite, kicken gegen verrostetes Blech.
«Da stehen Benzinkanister», rufe ich und halte einen hoch. «Fackeln wir die Bude nieder.»
Ein leises, kaum hörbares Wimmern von links. Da ist die Grube, über der die Ölwechsel gemacht werden. Der Junge ist tatsächlich schlau.
Wir stellen uns rundherum auf. Die Kinder sind kaum zu erkennen, beide ganz schwarz vom Altöl. Das Mädchen atmet mit offenem Mund, links oben fehlt ihm ein Schneidezahn.
«Habe ich euch erlaubt, zu gehen?»
Der Junge nimmt seine Schwester um die Schultern. «Nein. Aber sie hat solche Angst.» Seine Augen leuchten weiß aus dem ölverschmierten Gesicht. Kein Blinzeln.
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