Blinde Voegel
die ganz Alten finden wir in ihren Betten oder in Lehnstühlen, mit löchrigen Decken über den Knien. Sie sind kaum einem von uns einen Blick oder eine Kugel wert, nur Rajko flippt aus, wenn sie ihm aus wässrigen Augen entgegenblinzeln.
Als es dunkel wird, sind wir fertig, und die Ausbeute hebt unsere Laune. Eine gute Wahl, hierherzukommen. Ein guter Tag. Nur Dragan motzt, sein Bein macht ihm zu schaffen. Rajko, der ihn noch nie leiden konnte, holt eine Motorsäge aus einem der Keller und bietet ihm an, die Sache mit dem Bein ein für alle Mal zu erledigen. Es ist einer der besten Abende seit langem, und im ersten Stock der Schule finde ich ein blondes Mädchen, das Magda oder Marta heißt und sich sofort auszieht, sobald ich die Tür des Bürgermeisterbüros hinter mir schließe.
Am nächsten Morgen ist es, als hätte ich nie Kopfschmerzen gehabt. Wir machen uns zum Aufbruch bereit, jetzt können Kerzen angezündet und Gashähne aufgedreht werden.
«Panther?»
Der Name irritiert mich immer noch, aber er ist nützlich. Lässt meine Herkunft vergessen, macht mich zu einer ungreifbaren Größe. «Ja?»
Zosim nimmt sein Sturmgewehr von der Schulter. «Was wird mit der Schule?»
Ich überlege nur kurz. Ein guter Anführer hält seine Männer bei Laune, und wenn die Volksarmee hier vorbeikommt, soll sie sehen, dass wir nicht auf der faulen Haut gelegen haben. «Macht die Türen auf. Heizt ein bisschen ein. Und wer Lust auf Schießübungen hat, ist hiermit eingeladen.»
Mein LKW ist der erste, der das Dorf verlässt. Wir passieren die ausgebrannte Kirche, Häuser mit löchrigen Wänden, zwei Schutthaufen, aus denen Möbelreste ragen. Zu Beginn weicht Gruja, der am Steuer sitzt, den Körpern aus, die quer auf der Straße liegen, aber irgendwann wird es ihm zu dumm. Über uns reißt der Himmel auf, hinter uns zerreißen Schüsse den Morgen. Der Schnee glitzert in der Sonne, als wäre er mit Diamanten vermischt. Manchmal kommen die guten Tage in Serie.
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel neunzehn
B eatrice und Florin durchkämmten die Forellenwegsiedlung zweimal vom einen Ende zum anderen, ohne dass ihnen jemand oder etwas Auffälliges unterkam. Im Gegenteil, wenn jemand Aufsehen erregte, dann Beatrice selbst, die ihr Notebook unter dem Arm trug und alle fünf Minuten eine Parkbank ansteuerte, es aufklappte und nach neuen Hinweisen auf Facebook suchte. Aber die falsche Tina musste Nikolas Tipps verstanden haben – keine der beiden hatte sich mehr zu Wort gemeldet.
Sie waren schon auf dem Weg zurück zum Wagen, als Beatrices Handy klingelte und einer der Kollegen sich meldete, die sie zu Boris Ribars Adresse geschickt hatten. «Er ist nicht zu Hause, nur seine Frau. Aber die weiß auch nicht, wo er hinwollte. Sie will jetzt unbedingt wissen, was los ist. Was soll ich ihr sagen?»
«Dass wir uns bei ihr melden.» Beatrice legte auf und versuchte, Stefan zu erreichen, doch der ging nicht ans Telefon. Es war einer dieser Tage, die sie hasste. Nichts klappte.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Fast halb fünf. Höchste Zeit für einen Canossagang. Sie erwog die zwei Möglichkeiten, die sich ihr boten, und entschied sich für die unangenehmere.
«Bea? Was ist los?»
«Hallo, Achim. Könntest du die Kinder von der Schule holen? Ich kann nicht weg, ich müsste sonst Mama anrufen, und du hast ja selbst gemeint, ich soll erst dich fragen.»
Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie schwer es ihm fiel, ihr keine bissige Antwort zu geben. Fällt dir ja früh ein, andere Leute bekommen ihre Arbeit auch rechtzeitig fertig …
«Geht in Ordnung. Dann sollen sie aber auch hier schlafen, ich halte überhaupt nichts davon, den ganzen Abend auf Abruf zu sein und zu rätseln, ob du vielleicht noch geruhst, dich zu melden.» Wie er es liebte, sich im Recht zu fühlen!
«Klar. Sie freuen sich bestimmt. Danke.»
Sie stieg auf der Beifahrerseite ein und klappte das Notebook erneut auf. Immer noch nichts Neues, bloß Helen, die Nikola zur Ordnung rief und sich kurz darauf bedankte, dass sich alle so zivilisiert verhielten und der Thread tatsächlich keine weiteren Einträge mehr verzeichnete.
Florin hatte den Motor noch nicht gestartet. Er saß hinter dem Steuer und lehnte die blaue Mappe ans Lenkrad, aufgeschlagen beim «Weißen Schloss in weißer Einsamkeit». Sein Blick war auf das Foto gerichtet, als wolle er mit aller Kraft ausschließen, dass es doch ein Irrtum gewesen war.
«Ich wünschte, wir könnten das Foto
Weitere Kostenlose Bücher