Blinde Voegel
wollte eine Reportage über unsere Einheit schreiben und hat sich praktisch mit uns verbrüdert. Mit uns gesoffen. Hat mir erzählt, wie unabhängig er ist – keine Familie, nur Großeltern, keine Freundin. Ich habe ihm erklärt, dass das eine perfekte Voraussetzung für das Leben als Söldner ist. Am dritten Tag wollte er wissen, wie sich das so anfühlt, da habe ich ihm angeboten, dass er für ein paar Stunden mit mir tauschen kann. Uniform, Wagen, alles. Zu dem Zeitpunkt war es für mich auf dem Balkan aus mehreren Gründen schon sehr unschön geworden, und ich wollte am liebsten spurlos von der Bildfläche verschwinden.» Ribar vermied es, Nikola anzusehen, während er sprach. «Es war früh am Morgen, die meisten meiner Leute haben noch geschlafen. Auf dem Weg zum Jeep bin ich nur zwei Jungs begegnet, und die habe ich angewiesen, sich spaßeshalber von dem Schreiberling herumkommandieren zu lassen. Ich sagte ihm, der Jeep sei ein echter Hammer im Gelände, dass ich immer wieder damit durch die Gegend brettere und dass er das gerne ausprobieren dürfe, am besten auf den Feldern jenseits der Straße.» Ribar versuchte trotz seiner über dem Kopf gefesselten Hände ein Schulterzucken und verzog schmerzlich das Gesicht. «Er war völlig ahnungslos. Die beiden Jungs, die mit ihm im Auto saßen, haben ihn noch angeschrien, dass er da nicht reinfahren soll, aber er hatte so viel Schnaps intus …» Wieder Husten. «Er hatte seine Chance. Seine Sachen hätte ich aber auf jeden Fall behalten.»
«Vor allem seine Papiere.» Jetzt durfte Beatrice den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.
«Ja. Die waren in seiner Jacke. Und ich war offiziell tot.»
«Das heißt, ihre Söldnerfreunde haben Sie gedeckt?»
Ribar schloss die Augen, sichtlich erschöpft von den Schlägen und vom vielen Sprechen. «Es wussten ja nur wenige. Momcilo, Rajko, Zosim – denen hab ich reinen Wein eingeschenkt, und sie haben mir geholfen. Zosim und Rajko wollten auch nach Deutschland und hofften, sie können sich dann auf mich verlassen …»
Da war er, der Name. «Sie meinen Rajko Dulović, nicht?» Aus den Augenwinkeln beobachtete Beatrice, wie Nikola wieder das Foto des Mädchens in die Hände nahm, es studierte, als stünde in dem fröhlichen Gesicht geschrieben, was als Nächstes zu tun war. Vor der Werkstatt rumpelte etwas, aber er sah nicht auf. Das war gut. Hoffentlich.
«Ja. Dulović, dieser Arsch. Ist mir immer auf den Fersen geblieben, war immer auf Vorteile aus. Ist mir sogar nach Salzburg nachgezogen. Wenn es mir schlechtgeht, dann dir auch, hat er oft gesagt. Und dass er mich hochgehen lassen kann wie eine Granate.» Ribar leckte sich über die trockenen Lippen. «Ich wäre ihn sehr gern losgeworden, aber ich wollte meine neue Existenz nicht gefährden.»
Und nun war er doch tot. Ertrunken, nachdem er zuvor verprügelt worden war.
Die Pause, die entstand, wurde zu lang. Nikola, dessen Blick unablässig auf das Foto des Zahnlückenmädchens gerichtet gewesen war, hob den Kopf. «Deine neue Existenz», echote er und wandte sich zu Ribar um, der versuchte, trotz seiner Fesseln zurückzuweichen.
«Lassen Sie ihn!» Diesmal lag nichts Schrilles in Beatrices Stimme, dafür eine Autorität, von der sie nicht wusste, woher sie sie nahm. «Mir ist klar, dass er Ihnen eine Menge schuldet, aber vor allem schuldet er mir ein Geständnis. Sie haben Rajko Dulović getötet? Ihn erst misshandelt, dann unter Drogen gesetzt und in den Fluss gestoßen?»
Die Ketten klirrten. «Ich erzähle Ihnen alles, wenn Sie mich hier rausbringen!» Die Panik vor weiteren Schlägen, weiteren Schmerzen war ihm deutlich anzusehen.
«Das kann ich nicht. Sagen Sie mir, was passiert ist. Er hat doch gesagt, er lässt Sie in Ruhe, wenn Sie reden.»
Erst als Nikola zwei Schritte auf ihn zutat, sprach Ribar wieder, schneller als zuvor.
Er hatte nicht nur einige seiner alten Kriegskontakte gepflegt, sondern in Deutschland auch neue, nützliche Freunde gewonnen. Mit seiner Kriegsbeute war er klug umgegangen, hatte sie noch in Kroatien vergraben und erst viel später in den Westen geholt. Einen Teil davon hatte er in zwei Salzburger Lokale von zweifelhaftem Ruf gesteckt, in einem davon waren kürzlich zwei junge Leute aufgetaucht, die ein Bild von Ribar herumzeigten.
«Einer der Kellner ist mit mir befreundet und hat mich angerufen. Er sagte, es sei merkwürdig, jemand würde mich suchen, er hätte auch ein Bild, auf dem ich einen Kinderwagen schiebe, aber er
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