Blinde Voegel
Spuren von Hundekot an seinen Schuhen klebten. Der Gedanke, dass er wahrscheinlich schon einmal getötet hatte, ließ ihre mühevoll unterdrückte Angst von neuem aufflackern.
Du hast keine Beweise, verstrick dich nicht in deinen eigenen Phantasien.
Ablenken. Informationen beschaffen. Sie konnte es nicht beschwören, aber sie glaubte, von draußen gedämpfte Stimmen zu hören.
«Sagt Ihnen der Name Rajko Dulović etwas?» Sie stellte die Frage in den Raum, ohne einen der beiden Männer dabei anzusehen. Ribars «Nein» kam wie aus der Pistole geschossen.
«Das müsste er aber. Der Mann, der tot in der Salzach gefunden wurde? Voll mit Drogen. Haben Sie nichts darüber geschrieben? Nein?»
In Ribars verschwollenem Gesicht konnte sie Einsicht lesen. Seine übereilte Antwort war ein Fehler gewesen.
«Es gab einen Rajko in Hecklers Truppe.» Nikola sprach langsam, fast mit Genuss. «Keine Ahnung, wie der sonst hieß, aber ich erinnere mich an ihn. Mittelgroß und hässlich. Er hat fünf alte Männer erschossen, wie Schlachtvieh, einen nach dem anderen. Das Schlimmste ist, ich war froh darüber, dass er das tat, denn so hat er uns gar nicht beachtet und vorbeilaufen lassen.»
Nikolas Hand schloss sich um Ribars Kehle. «Aber du, du hast uns beachtet.»
«Ich weiß nicht, was Sie meinen.» Ribars Worte kamen als Krächzen heraus. «Ich war nie in Kroatien, überhaupt nicht in Jugoslawien. Ich habe mit all dem nichts –»
Ohne Vorwarnung, wie aus dem Nichts begann Nikola, auf ihn einzubrüllen, in einer Sprache, die Beatrice nicht verstand. Er stieß Ribar mit der Hand gegen die Brust, stellte ihm Fragen, wieder und wieder.
«Ich verstehe kein Wort», unterbrach ihn Ribar, sichtlich verzweifelt.
Nikola legte eine kurze Pause ein. Verschränkte lächelnd die Arme vor der Brust, und als er nun sprach, klang es freundlich. Stacheldraht, mit Samt umwickelt.
Ribar, bemüht um eine neutrale Miene, blickte zu Boden, doch dann, plötzlich, weiteten sich seine Augen. Sein Kopf zuckte zur Seite, und obwohl er die Bewegung sofort stoppte, war sie Nikola nicht entgangen. Ebenso wenig wie Beatrice.
«Was haben Sie ihm gesagt?»
«Das bleibt unter uns. Er hat es verstanden, und er hat mir geglaubt. Aber wissen Sie was? Ich möchte ihn noch etwas fragen, diesmal auf Deutsch.» Er wippte auf den Fußballen. «Was hältst du davon, wenn ich dich laufenlasse? Unter einer Bedingung könntest du am Leben bleiben.» Ein kurzes Nicken in Beatrices Richtung. «Facebook ist ja so nützlich. Vor einer Woche etwa habe ich mir Boris’ Profil angesehen. Dort gibt es kein Foto von ihm, natürlich nicht, aber etwas anderes verrät er uns. Dass er Kinder hat, zum Beispiel. Zwillinge, auf die er so stolz ist, dass er die Information sogar Fremden zugänglich macht.» Er packte Ribar bei den Schultern wie einen Freund bei der Begrüßung. Oder beim Abschied.
«Ich würde gerne deinen Kindern etwas vorsingen. Wenn du heute davonkommst, auf welche Art auch immer, dann tue ich das.» Er lachte auf. «Warum siehst du mich so merkwürdig an? Glaubst du nicht, dass ich auch singen kann, hm? Abwarten. Vielleicht töte ich dich nicht, sondern lasse dich einfach hier hängen und haue ab. Solange ich den Fernzünder habe, wird mir niemand etwas tun, nicht wahr?»
Er bluffte, natürlich. Seine Chancen, weiter als drei oder vier Kilometer zu kommen, waren minimal, aber Ribars Augen waren weit vor Entsetzen.
«Weißt du, was ich singen werde?»
«Ich …» Wieder ein hilfesuchender Blick zu Beatrice. «Ich bin nicht Frank Heckler», sagte er. «Ich bin Boris Ribar. Sie kennen mich doch, sagen Sie es ihm …»
«Das stimmt», erklärte Beatrice und legte alle Festigkeit in ihre Stimme, die sie aufbringen konnte. «Ich kenne ihn und seine Arbeit seit Jahren.» Sie würde tun, was in ihrer Macht stand, um Ribar lebend hier rauszubekommen. Wer er war, was er getan hatte, würden sie danach klären.
«Sing es.» Nikola ließ seine Schultern los und trat an die angrenzende Wand, löste das Bild ab. Betrachtete einen Moment lang das blonde Mädchen, bevor er Ribar das Foto vors Gesicht hielt. «Sing.»
Keine Reaktion. Behutsam legte Nikola das Foto beiseite, dann boxte er Ribar mit aller Kraft in den Magen. Zweimal, dreimal.
«Aufhören!» Schrill hallte Beatrices Stimme durch die Werkstatt, übertönte Würgegeräusche und verzweifeltes Luftschnappen.
«Sing.»
Ribar öffnete und schloss lautlos den Mund. Hustete. «Ich … kann nicht.» Er atmete
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