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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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schwer.
    Es schien Beatrice, als würde Nikola wachsen und noch näher an Ribar heranrücken, obwohl er sich keinen Millimeter bewegte. Sein Körper war bis zum letzten Muskel angespannt, er konnte jederzeit wieder zuschlagen. «Sing.»
    Nikola hob den langen Schraubenschlüssel vom Boden auf.
    Mit krächzender Stimme begann Ribar, die ersten Worte von Strangers in the Night zu stammeln. Es war keine Melodie erkennbar, kein Takt.
    Der Schlag mit dem Schraubenschlüssel kam blitzschnell und ging gegen die Rippen. Ribar schrie, aber Beatrice übertönte ihn.
    «Hören Sie sofort auf, den Mann zu misshandeln!» Sie würde sich zur Seite werfen, falls Nikolas nächster Hieb auf sie niedergehen sollte, doch er drehte sich nicht einmal zu ihr um.
    «Es gibt genau ein Lied, das ich von dir hören will, und du weißt es. Ich gebe dir noch einen Versuch, und wenn du wieder falschliegst, schlage ich dir die Zähne ein. Es ist mir dann auch egal, ob du mich täuschen willst oder dich nicht erinnern kannst.»
    «Tun Sie das nicht, bitte.» Beatrice sagte es erst leise, dann lauter, doch es war, als wäre sie gar nicht vorhanden. Die Vorstellung, wie das schwere Werkzeug Ribars Gesicht zertrümmern würde, ließ ihren ganzen Körper verkrampfen. Welche Chance hatte er schon, unter Millionen von Liedern das richtige zu finden?
    Die Spannung zwischen den Männern war fast körperlich spürbar. Für sie war die Welt rundum versunken. Nikola achtete nicht mehr auf die Fernbedienung auf der Werkbank, es wäre der perfekte Moment für einen Zugriff gewesen, nur dass Beatrice niemandem ein Signal geben konnte. Tut es trotzdem, tut es, kommt jetzt rein  …
    Der stumme Kampf vor ihr fand ein Ende. Ribar wandte den Kopf zur Seite, schluchzte auf und versuchte zurückzuweichen, vergebens. Ein letzter, verzweifelter Blick zu Beatrice, dann öffnete er den Mund. Es kam nicht mehr als ein Hauch heraus, kaum hörbar.
    «Lauter!», befahl Nikola.
    «Häschen … in der Grube …»
    Beatrice senkte den Kopf und starrte auf ihre Füße. Gleich würde der Schraubenschlüssel Ribars Mund in eine blutende Ruine verwandeln, und auch wenn es feige war, wollte sie das nicht sehen müssen.
    «… saß und schlief. Saß und schlief.»
    Sie sah wieder hoch, begriff nicht, was vor sich ging, verstand die Details nicht. Nur, dass Ribar das richtige Lied gewählt haben musste. Dass er aufgegeben hatte.
    «Armes Häschen, bist du krank, dass du nicht mehr hüpfen kannst …»
    «Sie hatte solche Angst.» Nikolas Stimme war voller Zärtlichkeit, und es schien Beatrice, als käme sie von einem anderen Ort als bisher.
    Diesen Ort galt es schnell wieder zu verlassen; er war dunkel, voller Schmerz. Und er lag allzu nah an der Fernzündung und am Benzinkanister.
    «Vor Zeugen», sagte sie, lauter als nötig. «Er hat es vor Zeugen zugegeben. Sie sind Frank Heckler? Ich hätte gerne, dass Sie es sagen.»
    Der Mann an der Wand sah sie an, aber sein Blick war leer. «Ich war Frank Heckler.»
    Eine Aussage, unter diesem Druck getätigt, würde vor keinem Gericht anerkannt werden, aber darauf kam es jetzt nicht an. «Wer ist dann 1993 mit dem Auto in die Luft geflogen? Nein, lassen Sie, ich glaube, ich weiß es. Ein armes Schwein namens Boris Ribar, nicht?» Der abfällige Ton in ihrer Stimme war Absicht. Mit etwas Glück würde Ribar, den sie für sich jetzt noch nicht Heckler nennen konnte, sie als Verbündete begreifen und dem, was sie vorschlug, zustimmen. Aber er schwieg.
    Begriff er nicht, dass sie auf Zeit spielte? Wenn er Details lieferte, die auch Nikola interessierten, wuchs die Chance, dass die Spezialeinheiten einen Weg finden würden, die Situation unblutig zu beenden.
    Nikola drehte den Schraubenschlüssel zwischen den Händen. «Solange du sprichst, lebst du», murmelte er. «An deiner Stelle würde ich allerdings versuchen, nicht zu lügen.»
    Misstrauen und Hoffnung lieferten sich einen Kampf in Ribars angeschwollenem Gesicht. Beatrice ahnte, dass Situationen wie diese ihm nicht fremd waren. Nur dass er früher immer auf der anderen Seite gestanden hatte.
    Schließlich gab er sich einen Ruck. «Der Mann kam aus Dubrovnik.» Wieder hustete Ribar, krümmte sich, und es dauerte, bis er genug Luft zum Weitersprechen bekam. Doch als er sich endlich im Griff hatte, war seine Haltung verändert. Als würde ihm die Erinnerung einen Teil seines früheren Ich zurückgeben.
    «Ein Journalist, drei Jahre jünger als ich, ehrgeizig. Aber nicht sehr clever. Er

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