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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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weißen Wänden
hilft sich die Sehnsucht fort mit irren Händen …
Die Uhren stehn im Schloß: es starb die Zeit.
    Ist ja gar nicht einsam , hatte auch eine Finja Meiner dazu geschrieben. Danach drehte sich die Diskussion um die tote Zeit und was sie bedeutete; einige der Gruppenmitglieder fragten, wo dieses Schloss sei, und Helen Crontaler schrieb in beinah beleidigtem Ton, es sei natürlich in Salzburg.
    Noch einmal klickte Beatrice auf Ältere Beiträge anzeigen . Allmählich spürte sie Müdigkeit in sich aufsteigen. Nur noch zehn Minuten, dann würde sie schlafen gehen.
    Ende Dezember des Vorjahres hatte Pallauf ein abendliches Foto des Hellbrunner Weihnachtsmarkts gepostet und damit Theodor Storms Weihnachtslied illustriert.
Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Düfte
Und hauchen durch die Winterlüfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht.
    Alles so harmlos. Beatrice gähnte und sah auf die Uhr. Halb elf. Wann auch immer diese Ansammlung von Reimen sie auf eine Spur bringen würde – heute ganz sicher nicht mehr. Sie stellte ihr Handy leise und ging schlafen.

    «In meinem Kakao ist zu wenig Kakao!», beschwerte sich Jakob und hielt Beatrice seine Tasse entgegen.
    «Es ist genauso viel drin wie immer.» Den geduldigen Ton beizubehalten, fiel ihr allmählich schwer. Seit dem Aufstehen quengelte Jakob über alles und jedes – sein T-Shirt, die Menge der Zahnpasta auf der Bürste, die Wolken am Himmel.
    «Nein! Das schmeckt nach Milch mit nichts!»
    Beatrice beschloss, ihn zu ignorieren. Sollte er seinen Kakao trinken oder es lassen, Hauptsache, sie kamen pünktlich aus der Tür. Sie aß im Stehen ein Stück Brot und schüttete eine Tasse Filterkaffee in sich hinein. Wo war nur ihr Handy? Sie hatte es gestern leise geschaltet und dann … auf dem Couchtisch, natürlich, neben dem Notebook, das musste sie auch noch einpacken.
    Sie holte das Handy aus dem Stand-by-Modus und sog scharf die Luft ein.
    5 entgangene Anrufe.
    Anspannung und schlechtes Gewissen, sofort. Wahrscheinlich war es nur Achim gewesen, der in der Nacht seine Vorwürfe hatte loswerden wollen, um besser schlafen zu können. Sie öffnete die Liste.
    Alle Anrufe stammten von Florin, der letzte war erst vor zwei Minuten eingegangen.
    Keine Frage, da war etwas passiert. Sie schaltete die Klingeltöne auf laut und rief Florin zurück. Er war sofort am Telefon, der Geräuschkulisse nach zu schließen, saß er im Auto.
    «Bea? Gut, dass du dich meldest. Komm so schnell du kannst, ich bin schon auf dem Weg. Leichenfund, in der Salzach, beim Makartsteg.»
    «Okay.» Sie warf einen Blick auf die Uhr: zehn nach sieben. «Bin um halb acht da.»
    Der letzte Schluck Kaffee, dann schnell alles zusammenpacken. «Mina, Jakob? Esst auf, wir müssen los.»
    «Aber ich –»
    «Bitte! Es ist wirklich eilig. Ihr könnt die Brote mit ins Auto nehmen und dort weiteressen.»
    Mina zuckte die Schultern und schob ihren Stuhl zurück, Jakob hingegen protestierte, wie erwartet. «Immer ist alles eilig. Das ist so blöd!»
    «Tut mir leid, aber so ist es eben!» Sie hörte selbst, dass sie es lauter sagte als nötig. «Morgen lassen wir uns mehr Zeit, gut?»
    «Immer morgen, morgen, morgen, morgen, morgen …»
    Er wiederholte das Wort noch, als sie die Treppen im Stiegenhaus hinunterliefen. Beatrice zwang sich, es zu ertragen. Immerhin war der morgendliche Verkehr nicht so dicht wie befürchtet. Fünf Minuten später ließ sie die Kinder vor der Schule aussteigen.
    Eine Leiche. Das konnte vieles bedeuten: Unfall, Selbstmord oder – wenn es wirklich übel lief – einen weiteren Fall.

    Die Schaulustigen bildeten eine Wand vor dem Salzachufer. Da, wo Polizeibeamte sie zurückdrängten – es gibt hier nichts zu sehen!  –, füllten sich die entstandenen Lücken sofort wieder. War ja auch gelogen, denn es gab durchaus etwas zu sehen: Drasche beispielsweise, der neben einem Feuerwehrwagen am Ufer stand und von einem Bein aufs andere trat, während Rettungskräfte in einem Boot auf den toten Körper zusteuerten, der bäuchlings im Wasser trieb.
    «Gehen Sie zurück!» Einer der Polizisten riss dem Mann, der sich eben wieder an ihm vorbeidrängen wollte, das Smartphone aus der Hand, aber er war nicht der Einzige, der das Geschehen filmte.
    Großartig. In zwei Stunden würde YouTube von Leichenbergungsvideos nur so überquellen.
    «Abriegeln», befahl Beatrice. «Das ganze Gebiet und auch die Brücken. Die Leute sollen

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