Blinde Voegel
würde ihnen nicht mehr helfen können, und sie ihm noch viel weniger.
Zwei Stunden später saßen sie im Büro und ordneten das, was sie in Erfahrung gebracht hatten. Der Tote war noch im Besitz seiner Geldbörse gewesen – die Yankees-Jacke hatte eine Innentasche mit Reißverschluss –, und damit war seine Identität so gut wie geklärt: Rajko Dulović, dreiundfünfzig Jahre alt und dank einiger Verurteilungen wegen Drogenhandels kein Unbekannter.
Beatrice holte sich seine Akte auf den Bildschirm. Florin hantierte an der Espressomaschine, und Sekunden später zog Kaffeeduft durch den Raum.
«Zusammenhänge», murmelte Beatrice. «Lass uns Zusammenhänge schaffen, sonst landen wir ganz schnell bei einem Mord im Drogenmilieu, der keinen Bezug zu Pallauf und Beckendahl hat.»
Sie sah zu Florin hoch, der eben eine Tasse neben ihren Bildschirm stellte. «Du hältst das doch nicht für Zufall? Der Anrufer hat mit Akzent gesprochen und seine Jacke beschrieben. Wir einigen uns doch darauf, dass er und der Tote dieselbe Person sind, ja?»
Zum ersten Mal an diesem Tag schlich sich etwas wie ein Lächeln in Florins Gesicht. «Wir einigen uns darauf, dass es eine brauchbare Arbeitshypothese ist.» Er rieb sich die Augen und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. «Neben ein paar anderen. Jetzt haben wir Drogen als neues Element in der Gleichung, wer weiß, ob nicht auch Pallauf und Beckendahl damit zu tun hatten. Wenn ja, haben wir die Sache bald im Griff.»
Florins Worte klangen zuversichtlich, seine Stimme hingegen erschöpft. Schon gestern hatte Beatrice Anlauf nehmen und ihn fragen wollen, was ihn so beschäftigte. Meine Güte, er tat das doch auch, gab ihr immer wieder Gelegenheit, sich all das private Zeug von der Seele zu reden, das sie wie einen Bleirucksack mit sich herumschleppte.
«Dir geht es im Moment nicht so gut, oder?»
Na toll, das hatte ja richtig mitfühlend geklungen. Ein schnell hingenuschelter Satz, und sie hatte ihn dabei nicht einmal angesehen. In Gedanken ohrfeigte sie sich selbst und holte Luft für einen zweiten Anlauf, doch Florin kam ihr zuvor.
«Entschuldige, bitte. Ich bin ein bisschen abgelenkt, das stimmt, aber es wird unsere Arbeit nicht beeinträchtigen.»
«Nein – natürlich nicht. So habe ich es nicht gemeint. Nur, wenn ich dir helfen kann …»
Er lachte auf, was beleidigend hätte sein können, wenn nicht gleichzeitig diese Wärme in seinen Augen gelegen hätte. «Das fehlt gerade noch. Als ob du nicht genug um die Ohren hättest, Bea. Nein, ich komme zurecht, zerbrich dir bloß nicht den Kopf über mich.»
Gibt es Schwierigkeiten mit Anneke? Oder geht es um etwas ganz anderes? Sie schluckte die Fragen hinunter, die ihr auf der Zunge lagen.
«Ich habe hier in der Datenbank ein Foto von Rajko Dulović», sagte sie stattdessen. «Meiner Meinung nach ist das unser Mann aus dem Fluss.» Was für ein Themenwechsel. Das konnte sie so nicht stehenlassen. «Und falls du mit jemandem reden möchtest, dann sehr gerne mit mir, außer natürlich, du ziehst Hoffmann vor.»
Wieder lachte er, diesmal klang es fröhlicher. «Ich werde es beherzigen.»
«Gut.» Sie drehte den Bildschirm ihres Computers so, dass auch er einen Blick darauf werfen konnte. «Also. Was sagst du?»
Er betrachtete das Foto eingehend. «Ich bin deiner Meinung, das ist er. Und Bea – wir sollten zumindest in Betracht ziehen, dass er nicht unser Informant war, trotz der Jacke und des Akzents.»
Ja, ja. Locker im Kopf bleiben, wie Herbert immer gesagt hatte. Apropos Herbert.
Sie zog das Notebook heran und loggte sich bei Facebook ein. Ausgezeichnet, in der Spalte links war unter der Rubrik «Gruppen» jetzt das Buch-Icon aufgetaucht. Lyrik lebt hatte Tina Herbert aufgenommen, und Helen Crontaler hatte ihr eine Freundschaftsanfrage geschickt. Besser konnte es kaum laufen! Leider musste die Gruppe bis zum Abend warten. Bevor Beatrice sich wieder ausloggte, gab sie in das Feld Suche nach Personen, Orten und Dingen den Namen Rajko Dulović ein.
Die ersten 0 Treffer werden angezeigt , verkündete die Seite und lieferte eine Liste mit alternativen Namensvorschlägen. Es gab eine Menge Leute, die Dulović hießen, aber keinen Rajko. Also war er auch kein Mitglied der Gruppe.
Das hätte sie sich denken können. Er wäre der erste ihr bekannte Kerl aus der Drogenszene mit einer Schwäche für Gedichte gewesen.
Halt. Wer sagte, dass er nicht ebenfalls unter falschem Namen im Netz unterwegs war? Viel Aufwand
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