Blinde Voegel
erforderte das nicht, wie sie selbst erfahren hatte.
«Jemand von uns sollte Dulovićs Computer und Handy untersuchen», sagte sie laut und machte sich eine entsprechende Notiz. «Ich will wissen, wann er welche Seiten besucht hat. Und ob er jemals auf Facebook war.»
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Kapitel fünf
D anke für die Aufnahme in die Gruppe und hallo in die Runde», hatte Beatrice zum Einstand posten wollen. Doch als sie sich abends bei Facebook einloggte, gemütlich auf der Terrasse, mit einem Glas Wein in der Hand, stieß sie auf eine Welle von Entsetzen und Bestürzung. Gestern hatte sie damit gerechnet, heute dummerweise nicht.
Christiane Zach Ich habe gerade etwas Schreckliches erfahren. Der Mann, der in Salzburg eine Frau erwürgt und sich dann selbst erschossen hat, das war Gerald Pallauf aus unserer Gruppe. Ich bin total fertig. Wisst ihr Genaueres?
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Ivonne Bauer Oh mein Gott. Woher hast du das? Ich hoffe, er war es nicht! Gerald, wenn du mitliest, melde dich bitte!!!
Dominik Ehrmann Nein, das glaube ich einfach nicht.
Ren Ate Ich habe eben auf seinem Profil nachgesehen, da steht nichts davon. Aber sein letzter Eintrag ist eine Woche alt.
Helen Crontaler Wie entsetzlich. Ich hoffe so sehr, dass es nicht wahr ist, und ich werde versuchen, mehr herauszufinden. Ich bin ja selbst aus Salzburg.
Ivonne Bauer Ja, Helen, bitte tu das!
Christiane Zach Mir hat es jemand im Krankenhaus erzählt. Bin ja Krankenschwester.
Nikola DVD Es wandelt, was wir schauen,
Tag sinkt ins Abendrot,
Die Lust hat eignes Grauen,
Und alles hat den Tod.
Ira Sagmeister Ja. Alles hat den Tod. Er ist überall, und manchmal ertrage ich das kaum.
Ivonne Bauer Nikola, findest du das passend? Wir freuen uns über Gedichte, deshalb sind wir hier, aber im Moment ist das beinahe geschmacklos.
Nikola DVD Falls Gerald wirklich tot ist, geht mir das sehr nah, glaube mir. So sehr, dass ich fremde Worte brauche, um meine Betroffenheit auszudrücken.
Ren Ate Solange es nicht in einen Wettbewerb um das schönste Trauergedicht ausartet. Ich jedenfalls zünde eine Kerze für Gerald an, und eine für das arme Mädchen.
Ivonne Bauer Was für ein tolles Foto, Renate. Die Kerze drückt Gefühle besser aus, als Worte es könnten.
In dem Tenor ging es weiter, alle beteuerten ihre Betroffenheit und stellten fest, dass man in andere nicht hineinsehen könne. Dass sie Gerald Pallauf niemals eine Gewalttat zugetraut hätten. Dass er ihnen keinesfalls selbstmordgefährdet erschienen war. Aber, na ja, im Internet zeigten die meisten Menschen eben nur ihre sonnige Seite …
Alle paar Sekunden ein neuer Kommentar. Beatrice las, notierte die Namen und versuchte, einen ersten Überblick zu gewinnen. Helen Crontaler und Christiane Zach unterstrich sie dick; die beiden waren in Salzburg zu Hause, bei den anderen würde sie den Wohnort noch überprüfen müssen.
Aus keinem der Kommentare konnte man herauslesen, dass der Schreiber Pallauf persönlich gekannt hatte.
Beatrice nahm einen Schluck von ihrem Merlot. Sich in dieser Situation erstmals zu Wort zu melden, wäre wohl ungeschickt. Wenn sie Pech hatte, würde man sie für sensationsgierig halten oder ihr Mangel an Einfühlungsvermögen vorwerfen.
Wer klang hier wirklich betroffen? Sie las die Kommentare noch einmal durch. Die meisten waren vor allem begierig darauf, mehr zu erfahren oder ihre eigene, ach so bedeutsame Einschätzung loszuwerden.
Ganz normales Verhalten, soweit Beatrice es beurteilen konnte. Der Tod war diesen Menschen an einem Ort nahe gekommen, an dem sie nicht mit ihm gerechnet hatten. Nun beschworen sie ihre eigene Lebendigkeit, suchten nach Erklärungen und der Versicherung, dass ihnen nicht dasselbe widerfahren konnte.
Sie würde noch warten, beschloss Beatrice. Auf das erste Posting, das wieder Normalität signalisierte. Dann würde sie sich vorstellen und als Tina Herbert mit den anderen in Kontakt treten.
Um den Abend nicht völlig nutzlos verstreichen zu lassen, nahm sie sich die Profile einiger Mitglieder vor, zuerst das von Helen Crontaler. Mit ihr war sie ja schon «befreundet», also hatte sie Zugriff auf ihre Informationen, auch auf Fotos, von denen es jede Menge gab. Helen mit ihrem Mann, er im Smoking, sie im Abendkleid. Das Bild musste anlässlich einer Vorstellung der Salzburger Festspiele gemacht worden sein – ja, da stand es: Così fan tutte.
Auf einem anderen Foto war sie legerer, aber immer noch höchst elegant gekleidet und lächelte
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