Blinde Voegel
fröhlich zu. Gleich würde er What’s up sagen oder etwas ähnlich Gekünsteltes. Sie musste ihm zuvorkommen.
«Ich möchte Ihnen gern etwas zeigen und Ihre Meinung dazu hören. Spontan, ohne dass ich Ihnen viel über die Hintergründe erzähle.»
«A pleasure», antwortete er in das Brummen der Kaffeemaschine hinein.
Aus den Papierbergen, die sich neben ihrem Bildschirm türmten, zog Beatrice die Blätter hervor, auf denen sie die gestrige Diskussion rund um das Gedicht «Patrouille» ausgedruckt hatte. «Was halten Sie davon? Welcher der beteiligten Personen würden Sie Ihre erhöhte Aufmerksamkeit schenken?»
Ohne Eile rückte Kossar sich einen Stuhl heran, pustete auf seinen dampfenden Kaffee und betrachtete die erste Seite. «Ist das nicht die Tankstelle beim Flughafen?»
«Ja, denke ich auch.»
Er trank einen Schluck und begann zu lesen. Ein Seitenblick verriet Beatrice, dass Florin seine Arbeit unterbrochen hatte. Er kannte die Wortmeldungen rund um Ira Sagmeisters Statusmeldung bereits und war ebenso ratlos gewesen wie Beatrice selbst. Tat sich etwas in der Gruppe, das man im Auge behalten musste? Oder bildeten sie sich das nur ein, weil sie keinen besseren Ansatzpunkt hatten? Die Kollegen aus Deutschland schickten immer wieder neue Informationen zu Sarah Beckendahl, doch nichts davon machte einen brauchbaren Eindruck. Sie war offenbar noch nie zuvor in Salzburg gewesen, keiner ihrer Freunde konnte sich vorstellen, was sie dort gewollt haben mochte. Zwei Freundinnen hatten ausgesagt, sie habe in den letzten Wochen sehr fröhlich gewirkt, fast als wäre sie verliebt, aber erzählt habe sie nichts darüber.
Verliebt in Gerald Pallauf?, dachte Beatrice ein weiteres Mal. Mein Gott, warum auch nicht? Aber dann hätte Martin Sachs doch etwas davon wissen müssen, und seine Darstellung hatte ganz anders geklungen.
Neben ihr hüstelte Kossar. «Well. Aus derart kurzen Wortmeldungen etwas Gültiges herauszulesen, ist praktisch unmöglich, und ich bitte Sie, mich nicht auf das festzunageln, was ich jetzt sage, und wenn Sie gerne hören möchten, dass die Äußerungen einer der Personen pathologische Züge aufweisen, dann muss ich Sie enttäuschen. Anhand weniger Worte kann ich absolut nichts Seriöses sagen. Aber Helen Crontaler ist mir aufgefallen, ihr Ton hebt sich von dem der anderen ab. Ich vermute, das ist so von ihr gewollt.»
«Darauf würde ich wetten», sagte Florin leise, den Blick auf seine Akten gerichtet.
«Die übrigen Diskutanten sind unauffällig, wenn man von Ira Sagmeister absieht, die ein wirklich merkwürdiges Gedicht mit einem völlig unpassenden Foto kombiniert … es würde mich durchaus interessieren, was dahintersteckt. So etwas tut niemand aus einer Laune heraus, sondern um bei anderen eine Reaktion zu provozieren, was Frau Sagmeister ja auch gelungen ist.» Er legte das Papier auf den Tisch zurück. «Tut mir leid, Beatrice, aber ich fühle mich, als würde ich versuchen, Trickkunststückchen vorzuführen. Sie werden niemanden finden, der auf Basis so dünner Information gültige Aussagen treffen kann.»
Beatrice konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Wie vorsichtig Kossar geworden war, geradezu bescheiden, verglichen mit seiner früheren Großspurigkeit. Offenbar hatten die Fehleinschätzungen, die er im letzten Fall abgegeben hatte, erfreuliche Spuren hinterlassen.
«Danke, Doktor Kossar. War trotzdem interessant zu hören. Ich komme sicher auf Sie zurück, wenn wir mehr in der Hand haben.»
Entweder begriff Kossar die freundliche Aufforderung zum Gehen nicht, oder er ignorierte sie. Interessiert blätterte er sich durch die Fotos von Pallauf und Beckendahl, die auf Beatrices Schreibtisch lagen, und verabschiedete sich erst einen Kaffee später.
Sie hatten sich nach einigem Hin und Her auf Ira Sagmeister geeinigt, obwohl Florin nicht davon überzeugt war, dass eine Befragung des Mädchens sinnvoll sein würde, aber immerhin war sie eines der Salzburger Gruppenmitglieder. «Blinde Kuh spielen ist nichts dagegen», seufzte er, als er vor dem Haus einparkte, in dem sich Sagmeisters Wohnung befand. «Allmählich glaube ich, dass es vernünftiger wäre, mehr Gewicht auf die Ermittlungen in der Drogenszene zu legen und Rajko Dulovićs Umfeld ordentlich zu durchleuchten.»
«Tun wir doch.» Beatrice löste ihren Sicherheitsgurt. «Stefan und Bechner konzentrieren sich auf nichts anderes mehr.»
«Ich meine aber nicht Stefan und Bechner», sagte Florin mit müder Stimme.
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