Blinde Voegel
sie weiter aus der Reserve locken sollte – mit einem Bild der Autobahnausfahrt Salzburg Mitte zum Beispiel, als links oben auf der Seite wieder die weiße Eins auf rotem Grund erschien. Eine weitere persönliche Nachricht.
Dominik Ehrmann Liebe Tina, du hast mir noch nicht geantwortet. Ich möchte dich nicht drängen, aber morgen werde ich in Richtung Salzburg aufbrechen. Können wir uns treffen? Sag mir bitte, wann und wo. Und wie du ungefähr aussiehst, ich habe in deinem Profil kein Porträtbild gefunden. Notfalls erkennst du aber mich, wenn du dir mein Foto gut ansiehst. Bitte antworte mir! Liebe Grüße, Dominik
Sie hatte vorgehabt, ihm zurückzuschreiben, nun war sie froh, gewartet zu haben. Dass seine zweite Nachricht an sie so knapp hinter Tinas Andeutung folgte, Ira hätte ihr etwas anvertraut, war sicher kein Zufall.
Beatrice überlegte nur kurz und rief dann Stefan an. «Übermorgen, nach der Trauerfeier, treffe ich mich mit Dominik Ehrmann aus der Lyrikgruppe. Unter falscher Identität, und ich brauche einen zweiten Mann, der nicht vorher in der Kirche war.»
«Bestens. Alles, was mir eine Totenmesse erspart, ist gekauft.»
«Okay, dann um halb sechs im ‹Republiccafé›. Wäre gut, wenn du eine Viertelstunde früher da sein könntest und mich anrufst, sobald er kommt. Falls Crontaler die glorreiche Idee haben sollte, ihn zu begleiten.»
«Lage sondieren. Wird gemacht.»
Sie schrieb ihre Antwort an Ehrmann, gab ihm Uhrzeit und Treffpunkt an und beschrieb sich als rothaarig, was nicht der Wahrheit entsprach. Aber es gab da noch eine tizianrote Lockenperücke, die sie bei einem früheren Fall verwendet hatte. Echthaar, wunderschön. Ein Erbstück von Tante Regina, das diese sich während ihrer Chemotherapie geleistet hatte.
Ehrmann antwortete umgehend und wirkte sehr erleichtert. Er freue sich, soweit das in Anbetracht der Umstände möglich sei, und würde verlässlich am Treffpunkt erscheinen.
Zwei Stunden später lieferte Stefan persönliche Details zu dem Mann. Alles, was er in seinem Facebook-Profil angab, schien zu stimmen. Er war Lehrer, unterrichtete in Gütersloh und engagierte sich für Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und die Tafel. «Ein Gutmensch, wie er im Buche steht», lästerte Stefan.
«Okay, aber wie sieht es mit privaten Dingen aus? Verheiratet, Kinder? Vorstrafen?»
«Seit wann sind Vorstrafen privat? Nein, hat er keine. Kinder ebenso wenig. Aber er hatte eine Frau, von der er seit drei Jahren geschieden ist. Als Nächstes knöpfe ich mir diese Nikola vor. Wenn ich etwas weiß, melde ich mich.»
Beatrice hatte endlich das Gefühl, einen Zipfel des Falls in Händen zu halten. Sie würde sich beherrschen müssen, um nicht allzu heftig daran zu ziehen.
«Bei Facebook sind sie ganz schön zugeknöpft.» Es war nur Stefans rothaariger Kopf im Türspalt zu sehen, wie üblich, wenn er schlechte Nachrichten überbrachte.
Beatrice legte Dulovićs toxikologischen Befund beiseite, mit dem sie sich die letzte Stunde über beschäftigt hatte. «Komm rein.»
«Das ist alles so schräg, dass ich fast nicht anders kann, als es für einen Witz zu halten», erklärte Stefan, schob seinen langen Körper dann aber doch ins Zimmer.
«Also. Erst wollten sie gar nichts sagen, dann habe ich einen Richter aufgetrieben, der zumindest dafür gesorgt hat, dass wir Kontaktdaten bekommen. Für eine Beschlagnahmung des Accounts hat er keinen Anlass gesehen. Laut Facebook handelt es sich bei Nikola DVD um jemanden – jetzt halte dich fest – namens Nikola Tod, wohnhaft in Hildesheim, geboren am 19. Dezember 1991.»
«Nur ein Jahr älter als Ira.»
«Richtig. Allerdings ist in ganz Niedersachsen keine einzige Nikola Tod gemeldet. Die Kollegen aus Deutschland prüfen es noch, aber wie es aussieht, gibt es Nikola Tod nicht, und wir haben es mit einem Fake-Account zu tun.»
Der Tod ist groß. Beatrice dachte an das Gedicht, das Ira in den letzten Stunden ihres Lebens gepostet hatte. Hatte sie auf Nikola angespielt? Auf die Userin mit dem fröhlichen Zahnlückenmädchen im Profilbild?
«Es gibt doch sicher Möglichkeiten herauszufinden, wer wirklich hinter Frau Tod steckt?»
Stefan zog eine Grimasse. «Eigentlich nicht, da macht uns der Datenschutz einen Strich durch die Rechnung. Ich habe mich vorhin noch mal im Sicherheitspolizeigesetz schlaugemacht. Wir dürfen die IP-Adresse ausforschen, falls das zur Verhinderung einer Straftat dient. Aber nur, wenn der Inhalt der Nachricht auf
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