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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Mama …»
    Beatrice umarmte ihren Bruder, der nach gerösteten Zwiebeln roch. «Danke, dass ihr mir mal wieder aushelft.»
    «Na sicher. Bleibst du noch zum Essen hier?»
    «Nein. Nicht böse sein, ich habe keinen Hunger, dafür aber einen Haufen Arbeit.» Für morgen brauchte Tina Herbert eine Lebensgeschichte und Antworten auf die Fragen, die bei einem ersten Zusammentreffen üblicherweise gestellt wurden. Sich auf ihr Improvisationstalent zu verlassen, war Beatrice zu riskant.
    Nachdem sie die Sachen der Kinder in dem kleinen Raum unter dem Dach deponiert hatte, das früher ihr eigenes Kinderzimmer gewesen war, machte sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter und fand sie im Hof hinter der Küche, wo sie kopfschüttelnd falsch getrennten Müll sortierte.
    «Mama? Die Kinder sind schon da, ich fahre gleich wieder.» Sie drückte ihre Mutter an sich, in der Hoffnung, dass die Umarmung das schlechte Gewissen dämpfen würde, das eben seine hässlichen Tentakel in ihr auszustrecken begann. Immer nur schnell die Kinder abliefern, als wären sie lästiges Übergepäck, das bitte jemand anders tragen soll. So ähnlich hatte Achim es einmal formuliert.
    Mama sah es entspannter, zum Glück. Der kritische Blick, den sie jetzt aufsetzte, hatte nichts mit ihren Mutterqualitäten zu tun. Sie nahm Beatrice bei den Schultern und hielt sie ein Stück von sich weg. Prüfender Blick, erneutes Kopfschütteln. «Du nimmst schon wieder ab, Bea. Die Hose sieht aus, als könntest du sie beim Laufen ganz leicht verlieren.»
    «Ach, das kennst du doch. Sobald der Stress nachlässt, futtere ich alles wieder drauf. Wie ein Schwarm Heuschrecken.» Sie tat einen Schritt nach hinten, aber ihre Mutter ließ sie nicht los.
    «Geht es dir gut? Sei ehrlich.»
    «Ja.» Mein Gott, was hieß schon gut? Katastrophen blieben derzeit aus, das war die Hauptsache. Jakobs Lehrerin ging verständnisvoller mit ihm um als im vergangenen Schuljahr, Achim beschränkte sich auf vorwurfsvolle Spitzen. «Es ist alles in Ordnung, wirklich. Danke, dass du mir unter die Arme greifst.» Sie küsste ihre Mutter auf die Wange, machte sich los und lief zu ihrem Wagen.
    Auf dem Weg nach Hause schoss sie drei Fotos mit ihrem Handy. Vom Augustinerkloster in Mülln, vom Landeskrankenhaus und von einem Abschnitt der Maxglaner Hauptstraße. Tina Herbert brauchte neue Köder.

Tina Herbert bedeckt ihr wahres Ich schamhaft mit einem Weinblatt. Bist du hässlich, Tina? Hast du Angst vor spöttischen Bemerkungen und willst die Aufmerksamkeit auf die Schönheit deines Geistes lenken?
    Für mich bist du vor allem ein unbeschriebenes Blatt, ich kann dich nicht zuordnen, aber was du tust, gefällt mir nicht. Ich habe nach dir gesucht, bin die letzten Monate durchgegangen, doch da war nirgendwo eine Spur von dir. Also ein schneller Klick auf die Mitgliederliste, und siehe da – erst vergangene Woche hast du dich angemeldet.
    Es wäre albern zu fragen, warum, nicht wahr? Und zumindest meiner Intelligenz nicht würdig.
    Trotzdem irritiert mich dein Vorgehen, denn anders als Ira schießt du knapp daneben. Aber eben nur knapp, und wer weiß, vielleicht ist das Absicht.
    Ebenso gut kann es sein, dass du nicht weißt, was du tust. Dass du eine Trittbrettfahrerin bist. Keine gute Idee, wenn man sich ansieht, was mit dem Zug passiert ist, auf den du aufspringen willst, und nein, das ist kein beabsichtigtes Wortspiel.
    Sei vorsichtig, Tina. Lyrikfreunde neigen zur Melancholie und dazu, ihrem Leben frühzeitig ein Ende zu setzen. Deine blinden Vögel mögen auch einmal ein Korn finden, ist es das, was du mir sagen willst? Damit magst du recht haben. Sie sollten aber gut prüfen, ob es nicht giftig ist.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel vierzehn
    B eatrice hatte freien Blick auf den Kircheneingang und auf die Sparkasse. Sie saß auf der Rückbank des VW Sharan und beobachtete die eintreffenden Trauergäste durch die getönte Scheibe. Helen Crontaler kam als eine der Ersten, gemeinsam mit ihrem Mann, dessen Arm sie nicht losließ. Die beiden machten keine Anstalten, die Kirche zu betreten, sondern versuchten, so viele Gäste wie möglich in ein Gespräch zu verwickeln. Immer noch auf der Suche nach blutigen Details, mutmaßte Beatrice. Zwei Krähen, gierig auf Aas.
    Eine Gruppe von Studenten trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, bevor sie sich entschloss, lieber innerhalb der Kirche zu warten. Rechts, neben dem Portal, stand Iras Vater, klein und verloren, vor ihm hatte Florin sich

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