Blinde Voegel
eine unmittelbar drohende Gefahr schließen lässt.» Er hob die Schultern. «Wir könnten natürlich noch mal versuchen, einen richterlichen Beschluss zu bekommen, aber Nikola postet nur Gedichte. Und Fotos. Da gibt es weit und breit nichts strafrechtlich Relevantes.»
Florins resigniertes Seufzen von der anderen Schreibtischseite ließ darauf schließen, dass er der gleichen Ansicht war. «Sieht schlecht aus, Bea. Auf dieser Basis legt sich keiner gerne mit den Datenschützern an, das gibt böses Blut ohne Ende. Wenn sich Nikola dann als harmlose Spinnerin herausstellt, die bloß Iras morbide Lebenseinstellung teilt, zerlegt die Presse uns in alle Einzelteile.»
Es hatte einen solchen Fall in Wien gegeben, Beatrice erinnerte sich. Ein Mann war ohne richterlichen Beschluss ausgeforscht worden, weil er in einem Chatroom angedeutet hatte, kinderpornographisches Material verkaufen zu wollen. Das hatte sich als geschmackloser Witz herausgestellt, der Betroffene hatte beim Verfassungsgericht geklagt und Recht bekommen. Die Andeutung sei zu vage gewesen, um einen solchen Schritt seitens der Polizei zu rechtfertigen.
Mit Gedichten und Salzburg-Fotos als einziger Handhabe würden sie bei jedem Richter abblitzen. Das vertraute Gefühl von Frustration überkam sie. «Also braucht man nur einen Fake-Account und kann in aller Ruhe seine Fäden spinnen, solange man nicht explizit jemandem droht.»
Florin betrachtete seine Hände. «Hast du dir mal überlegt, dass wir auch falschliegen könnten? Dann wäre es ein Eingriff in die Privatsphäre eines Menschen, der nicht mehr verbrochen hat, als in einem sozialen Netzwerk eine erfundene Identität anzugeben. Was im Übrigen sehr viele Leute tun.» Er stand auf. «Du glaubst, dass Nikola jetzt in Salzburg ist. Vielleicht will sie ja ebenfalls zur Messe für Ira Sagmeister, dann werden wir mit ihr sprechen, so wie mit allen anderen Kirchenbesuchern.»
Es war der bessere Weg, ganz sicher, obwohl Beatrice den Gedanken hasste, ein Werkzeug, das vor ihrer Nase lag, nicht benutzen zu dürfen.
Aber eventuell … Dominik Ehrmann hatte bereits auf Tina Herberts Mitteilung reagiert, vielleicht musste sie nur ein paar Schäufelchen nachlegen, damit auch Nikola Tod mit ihr Kontakt aufnahm.
Die Taschen der Kinder waren gepackt. Statt sich die Schuhe anzuziehen, malte Jakob mit dem Laserpointer rote Muster auf die Jacken, die an der Garderobe hingen. Zickzack, Kringel, Spiralen.
«Na, komm.» Beatrice schubste ihn sanft in Richtung des Schuhregals. «Oma und Onkel Richard warten schon mit dem Essen. Wenn wir uns beeilen, könnt ihr danach noch Kaffee servieren.» Das zog normalerweise immer. Sowohl Jakob als auch Mina liebten es, im Gasthof von Beatrices Mutter zu «kellnern» und glühten vor Stolz, wenn die Gäste ihnen zehn oder zwanzig Cent Trinkgeld in die Hand drückten.
«Hast du Onkel Richard gefragt, ob schon Kürbisauflauf auf der Speisekarte steht?», erkundigte sich Mina.
«Nein, hab ich vergessen. Aber in einer halben Stunde können wir es wissen – wenn ihr endlich weitermacht.»
Mina stemmte die Arme in die Seiten. «Ich bin fertig.»
Heute Abend lag noch eine Menge Vorbereitungsarbeit vor Beatrice, und morgen würde ohnehin ein langer Tag werden. Das Treffen mit Dominik Ehrmann konnte Stunden dauern, da war es am vernünftigsten, wenn die Kinder zwei Nächte im «Mooserhof» blieben.
Sie überprüfte den Inhalt der Schultaschen auf Vollständigkeit, stopfte noch je eine zusätzliche Hose ins Übernachtungsgepäck und öffnete die Tür.
«Na, kommt. Wer zuerst unten ist, hat gewonnen.»
Mit einem Kampfschrei stürzte Jakob los. Mina schüttelte nur hoheitsvoll den Kopf und schritt betont gemächlich die Treppen hinunter. «Nimm ihm den Laserpointer lieber weg», sagte sie wie nebenbei. «Er zielt immer auf die Hände von fremden Leuten und schreit dann Achtung, Sie bluten! Voll peinlich.»
«Mir hat er erzählt, dass Omas Katzen so gerne den Lichtpunkt jagen.»
Minas Schulterzucken war schwer zu deuten. Von «auch möglich» bis «selbst schuld, wenn du ihm das abkaufst» war jede Interpretation denkbar. «Ich hab es dir jedenfalls gesagt.»
Der «Mooserhof» war gut besucht, aber nicht überfüllt. Mina und Jakob stürzten an den üblichen Tisch, auf den Richard heute ein Reserviert-Schild mit ihren Namen gestellt hatte. Sensation! Jakob zupfte den Zettel aus der Halterung und schwenkte ihn über seinem Kopf. «Mama, schau, Mama, schau, Mama, schau, schau doch,
Weitere Kostenlose Bücher