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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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kommen, außerdem will er mich treffen. So haben wir die Gelegenheit, ihn von zwei Seiten her zu durchleuchten: Erst wird Florin ihn befragen, und dann sehen wir, was er mir zu sagen hat.»

    «Hast du den Eindruck, dass noch jemand aus der Gruppe gefährdet ist?», erkundigte sich Stefan, als die Besprechung beendet war und alle aus dem stickigen Raum drängten. «Ich frage nur, weil wir es bisher mit lauter potenziellen Selbstmördern zu tun haben. Falls also jemand besonders bedrückt wirkt …», er zwinkerte, selbst das exakte Gegenteil von bedrückt, «sollten wir sie oder ihn im Auge behalten.»
    Kluger Gedanke. «Das mache ich. Aber aktuell sind sie alle trübsinnig, oder tun zumindest so. Trotzdem danke für den Hinweis.»

    Über zwölf Stunden waren vergangen, seit Beatrice der Gruppe «Seine Hände blieben wie blinde Vögel» vorgesetzt hatte, und inzwischen hatten sich stattliche neununddreißig Kommentare darunter angesammelt. Immerhin vierzehn Leuten gefiel das Gedicht oder zumindest die Absicht, die sie dahinter vermuteten.
    Sie legte ihr Mozzarella-Tomaten-Baguette neben das Notebook und goss sich Orangensaft ein. Es würde keine richtige Mittagspause sein, aber doch etwas Ähnliches.
    Phil Anthrops Interpretation, dass die Blinden Vögel vom Zurückgelassenwerden erzählten, war auf breite Zustimmung gestoßen. Trotzdem warf eine Reihe von Mitgliedern Beatrice beziehungsweise Tina vor, nur Aufmerksamkeit heischen zu wollen.
Thomas Eiber Tut mir leid, für mich ist das alles abstoßend. Wer von euch fühlt sich bitte zurückgelassen? Wer hat Ira denn gekannt? Das ist das Bescheuerte an den meisten sogenannten «Freundschaften» im Social Net: Sie gaukeln euch vor, einen riesigen Kreis von Bekannten zu haben, aber das ist ein Irrtum. Tina, du bist erst seit ein paar Tagen hier, was willst du uns vormachen? Das nervt, ehrlich.
    Thomas Eibner war ihr höchst sympathisch, nur konnte sie das schlecht öffentlich zum Ausdruck bringen. Tina würde sich stattdessen rechtfertigen müssen.
    Die weiteren Kommentare pendelten zwischen den Polen hin und her und liefen meist darauf hinaus, dass jeder ein Recht auf seine Gefühle habe und das Gedicht nicht geschmacklos sei, das Timing aber ungünstig. Beatrice schloss ihre Hände zu lockeren Fäusten und öffnete sie wieder, bevor sie sie auf die Tastatur legte. Zeit, eine weitere Karte auszuspielen. Einen unauffälligen, kleinen Köder auszulegen.
Tina Herbert Mit so vielen Reaktionen habe ich nicht gerechnet. Bei denen, die sich von mir auf die Zehen getreten fühlen, entschuldige ich mich. Aber meinem Empfinden nach hat mich vieles mit Ira verbunden. Nicht zuletzt das, was sie mir kurz vor ihrem Tod im Chat anvertraut hat. Und nein, ich heische keine Aufmerksamkeit, im Gegenteil. Thomas, ich weiß, dass Ira keine Freundin im engeren Sinn war. Aber sie war für mich deutlich mehr als nur ein Profilbild und ein paar Postings. Das ist sie immer noch.
    Nicht gelogen, dachte Beatrice. Ira ist der Stein in meinem Magen, seit der Nacht auf den Gleisen. Und jetzt lasst uns doch mal sehen, wer sich als Erstes für die geheimnisvolle Chat-Botschaft kurz vor dem Selbstmord interessiert.
    Da kam sie schon, die Reaktion, kaum zwanzig Sekunden später. Und natürlich von
Helen Crontaler Angenommen, du sagst die Wahrheit – dann hoffe ich sehr, dass das, was Ira dir anvertraut hat, keine Bitte um Hilfe war oder eine Information, durch die du ihren Tod hättest verhindern können. Falls doch – wirst du es jemals wieder schaffen, ruhig zu schlafen?
    Die Frau war unglaublich neugierig, und sie verbarg es schlecht. Beatrice konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als sie die Antwort tippte.
Tina Herbert Danke, Helen. Du musst dir aber um mich keine Sorgen machen, ich schlafe gut.
    Sie verließ ihren eigenen Beitrag und nahm sich den nächsten vor: Oliver Hegenloh, der sich Vorwürfe machte, Iras Zustand nicht schon früher richtig eingeschätzt zu haben. Dreizehn Leute, die ihn beruhigten und ihm versicherten, dass er nichts hätte tun können, um Ira zu retten.
    Der nächste Beitrag. Beatrice stutzte … das war merkwürdig.
Nikola DVD
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
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    Es waren die nächsten zwei Zeilen aus Rilkes «Der Panther», doch diesmal ergänzt durch ein Bild. Wenn Beatrice nicht völlig falschlag, zeigte es die Autobusstation vor dem Salzburger Bahnhof, Südtiroler Platz. Vor etwa fünf

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