Blinde Voegel
«Was können Sie mir über Nikola DVD erzählen?»
Kurzes, verblüfft wirkendes Schweigen. «Über Nikola?»
«Sie scheint mir eine interessante Figur in Ihrer Runde zu sein.»
«Weil sie Gedichte in kleinen Portionen postet? Das halten Sie für interessant?»
War Crontaler jetzt etwa beleidigt?
«In Zusammenhang mit den gleichzeitig eingestellten Bildern, ja. Ist Ihnen das heute noch nicht aufgefallen?»
Nun lachte sie. «Doch. Ist das nicht idiotisch? Scheint eine neue Mode zu sein. Ira hat damit begonnen, völlig unpoetische Fotos mit wunderschönen Gedichten zu kombinieren. Jetzt machen es ihr einige nach. Nikola DVD, eine neue Userin namens Tina Heinrich – ich verstehe es auch nicht. Aber ich könnte sie bitten, es bleibenzulassen.»
«Nein», beeilte sich Beatrice zu sagen. Wenn Iras und Nikolas Fotos eine Geschichte erzählten, wollte sie die weiteren Kapitel um nichts in der Welt verpassen. Und was den falschen Nachnamen ihres erfundenen Alter Ego betraf, würde sie Crontaler auf keinen Fall korrigieren.
«Abgesehen von den seltsamen Fotos – wissen Sie sonst nichts über diese Nikola?»
Genervtes Seufzen. «Sie ist schon seit einiger Zeit mit dabei. Kommt aus irgendeiner deutschen Stadt und beteiligt sich manchmal intensiv bei uns, dann wieder gar nicht.»
«Okay. Vielen Dank, Frau Crontaler.»
Doch so schnell ließ die sich nicht abservieren. «Moment noch! Ich würde Sie auch gerne etwas fragen, und Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie antworten.»
«Das kann ich Ihnen nicht versprechen.» Beatrice ahnte bereits, worauf Crontalers Bitte abzielte. «Aber fragen können Sie natürlich.»
«Gut. Danke.» Wieder das Räuspern. «Waren Sie dort, in der Nacht, als Ira tot aufgefunden wurde?»
Hübsch formuliert. Tot aufgefunden. Klar, ich war dabei, bei jedem einzelnen Teil. «Ja. Warum?»
«Es lässt mir keine Ruhe, wissen Sie? Denken Sie, es ist schnell gegangen? Oder hat sie leiden müssen?»
Nicht ungeschickt, die Frau. «Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Aber ich hoffe ebenso wie Sie, dass sie keine allzu großen Schmerzen gehabt hat.» Gleich, dachte Beatrice, wird sie aufhören, um den heißen Brei herumzureden.
Tatsächlich. «Was genau hat Ira eigentlich getan? In der Zeitung stand etwas von ‹ungeklärten Umständen›. Was ist damit gemeint? Wissen Sie gar nicht, wie sie ums Leben gekommen ist?»
«Doch. Aber wir wüssten gerne mehr. Ob sie allein war, zum Beispiel, wie sie sich verhalten hat. Diese Dinge.»
Zwei schnelle Atemzüge am anderen Ende der Leitung. «Meinen Sie, sie war es gar nicht selbst und jemand hat sie …»
«Das habe ich nicht gesagt.» Beatrice legte wieder ein wenig Eis in ihre Stimme. «Ich kann Ihnen keine Details erzählen. Dazu habe ich nicht die Befugnis.» Und erst recht keine Lust.
«Wer spricht denn von Details, um Gottes willen. Nur … die Todesart. Es hat nichts darüber in der Zeitung gestanden, gar nichts. Das ist doch merkwürdig.»
«Nein, das ist es nicht. Ich bin sicher, Ira wüsste Ihr Mitgefühl zu schätzen, aber ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als ich schon getan habe. Einen schönen Tag noch.» Sie legte auf. Erinnerte sich unwillkürlich daran, wie beharrlich sie der Polizei im Nacken gesessen hatte, nachdem ihre beste Freundin ermordet worden war. Aber das war etwas anderes gewesen. Sie hatte helfen wollen, war besessen gewesen von dem Gedanken, dass der Mörder noch frei herumlief, während Evelyn in einer Grube verweste. Sie hatte haufenweise Motive für ihre Penetranz gehabt, aber Sensationsgier war nicht darunter gewesen. Meine Güte, warum auch, sie hatte alles gesehen, viel mehr, als sie je gewollt hatte …
Nein, jetzt nicht daran denken. Sie wandte sich wieder der Facebook-Seite zu, gespannt, ob Helen Crontaler sich gleich zu ihrem frustrierenden Erlebnis mit der unkooperativen Polizistin äußern würde, anstatt, wie erhofft, Sensationelles zu posten.
Stellt euch vor, sie hat sich erhängt!
Die Pulsadern aufgeschlitzt, Pillen genommen …
Aber Crontaler schwieg, wenn man von dem scharfen Kommentar absah, den sie unter Nikolas Foto des Südtiroler Platzes gestellt hatte. «Wir haben jetzt alle begriffen, dass du uns Rilkes ‹Panther› stückchenweise vorsetzt. Wozu das gut sein soll, weiß der Himmel, und ich wäre froh, wenn du es lassen könntest.»
So gereizt hatte Helen bisher noch nie geklungen, das Telefonat musste sie enorm frustriert haben. Beatrice überlegte, ob sie
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