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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Bereiche ausdehnen … Am besten, wir gehen der Sache langsam auf den Grund und versuchen herauszufinden, womit alles angefangen hat. Da Sie außer Haus arbeiten, bereitet es Ihnen sicher große Unannehmlichkeiten, wenn Sie plötzlich Ihren Namen nicht mehr wissen.«
    Frau Sakaki stellte Mizuki nun konkrete Fragen zu ihrem gegenwärtigen Leben. Seit wie vielen Jahren war sie verheiratet? Wo arbeitete sie? Wie war es um ihren Gesundheitszustand bestellt? Als Nächstes befragte sie sie über ihre Kindheit, ihre Familie, die Schulzeit. Was machte ihr Freude? Was machte ihr keinen Spaß? Was konnte sie gut, was weniger gut? Mizuki beantwortete jede Frage so ehrlich, spontan und genau wie möglich.
    Mizuki war in einer ganz normalen Familie aufgewachsen. Ihr Vater arbeitete bei einer großen Versicherungsgesellschaft. Sie waren zwar nicht besonders wohlhabend, aber Mizuki konnte sich nicht erinnern, dass es jemals Geldschwierigkeiten gegeben hatte. Sie hatte noch eine ältere Schwester. Ihr Vater war ein sehr ernsthafter Mensch, ihre Mutter war ziemlich empfindlich und nörgelte oft. Ihre Schwester war immer eine Musterschülerin gewesen, aber (nach Mizukis Ansicht) etwas oberflächlich und berechnend. Familiäre Probleme hatte es bisher nie gegeben, und alle kamen im Großen und Ganzen gut miteinander aus. Größere Zerwürfnisse gab es keine. Mizuki war ein eher unauffälliges Kind gewesen, robust und nie krank, ohne jedoch besonders sportlich zu sein. Sie hatte keine Komplexe wegen ihres Aussehens, obwohl ihr nie jemand sagte, dass sie hübsch sei. Sie hielt sich für einigermaßen intelligent, verfügte aber auf keinem Gebiet über herausragende Fähigkeiten. Ihre schulischen Leistungen waren normal gewesen, mit der Tendenz zum oberen Klassendurchschnitt. In der Schulzeit hatte sie ein paar gute Freundinnen gehabt, die aber alle nach ihrer Heirat über ganz Japan verstreut lebten. Sie hatte kaum noch Verbindung zu ihnen.
    Über ihr Eheleben konnte sie sich nicht beklagen. Am Anfang war es zu den üblichen Missverständnissen gekommen, aber sie und ihr Mann hatten sich zusammengerauft und verstanden sich jetzt gut. Ihr Mann war natürlich nicht vollkommen (von seinem Hang zum Analysieren abgesehen, hatte er auch keinerlei Sinn für Kleidung), aber er hatte auch viele gute Seiten (er war gütig, verantwortungsbewusst, reinlich, er meckerte nicht über das Essen und auch sonst nicht). Er war sehr verträglich und kam sowohl mit seinen Kollegen als auch mit seinen Vorgesetzten gut zurecht. Stressanfällig war er auch nicht. Natürlich ging bei seiner Arbeit nicht immer alles glatt, aber das war ja kaum zu vermeiden, wenn mehrere Menschen täglich auf engem Raum zusammen sind.
    Während Mizuki von ihrem Leben erzählte, wurde ihr bewusst, wie uninteressant es im Grunde schon immer gewesen war. Eigentlich war ihr noch nie etwas Dramatisches passiert. Ihr Leben erinnerte sie an einen dieser billig produzierten Dokumentarfilme, die eigentlich nur zum Einschlafen waren. Nichts als blasse, eintönige Landschaft. Keine Schwenks, keine Nahaufnahmen. Keine Höhen und Tiefen, keine herausragenden Ereignisse. Keine Spannung, keine drohenden Gefahren. Nur dann und wann, wie durch Zufall, änderte sich die Kameraperspektive ganz leicht. Mizuki bekam geradezu Mitleid mit der Beraterin. Zuzuhören war zwar ihr Beruf, aber musste sie sich bei einer so öden Geschichte nicht halb zu Tode langweilen? Wahrscheinlich würde sie jeden Moment anfangen zu gähnen. Ich würde vor Langeweile sterben, wenn ich mir jeden Tag solches Zeug anhören müsste, dachte Mizuki.
    Tetsuko Sakaki hingegen hörte ihr aufmerksam zu und machte sich kurze Notizen mit Kugelschreiber. Hin und wieder warf sie eine Frage ein, die meiste Zeit aber schwieg sie und konzentrierte sich ganz auf Mizukis Geschichte. Wenn sie jedoch etwas sagte, verriet ihre ruhige Stimme ein tiefes, echtes Interesse und klang nicht im Geringsten gelangweilt. Ihr bedächtiger Ton wirkte beruhigend auf Mizuki. Sie hatte den Eindruck, dass ihr noch nie jemand so ernsthaft zugehört hatte. Als ihr Gespräch nach etwas über einer Stunde zu Ende war, hatte Mizuki das Gefühl, eine zentnerschwere Last sei ihr von den Schultern genommen.
    »Können Sie nächsten Mittwoch um dieselbe Zeit wiederkommen, Frau Ando?«, fragte Tetsuko Sakaki und lächelte freundlich.
    »Ja, gern«, sagte Mizuki. »Wenn ich darf.«
    »Natürlich. Solange es Ihnen nicht unangenehm ist. Es sind viele Gespräche nötig,

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