Blinde Weide, Schlafende Frau
Gasthaus in Kanazawa und waren sehr wohlhabend. Da sie nicht in meiner Klasse war, weiß ich es nicht genau, aber angeblich waren ihre Noten ausgezeichnet. Sie war wirklich in jeder Hinsicht begünstigt. Die jüngeren Schülerinnen schwärmten regelrecht für sie. Dabei war Yuko auch noch sehr nett und überhaupt nicht eingebildet, ein ruhiges Mädchen, das seine Gefühle meist für sich behielt. Sie war wirklich sympathisch, aber manchmal wusste man nicht, was sie dachte. Bei aller Bewunderung hatte sie, glaube ich, keine richtige Freundin.«
Mizuki saß also an ihrem Schreibtisch und hörte Radio, als es leise klopfte. Es war Yuko Matsunaka in einem engen Rollkragenpullover und Jeans. Sie würde gern mit Mizuki reden, wenn sie nicht störe, sagte sie. »Komm rein«, sagte diese, wenn auch ein bisschen erstaunt. »Du störst überhaupt nicht.« Bisher hatte sie noch nie allein mit Yuko gesprochen. Sie hätte nie erwartet, dass diese sie wegen einer privaten Angelegenheit eigens in ihrem Zimmer aufsuchen würde. Mizuki bot ihr einen Stuhl an und machte Tee mit dem heißen Wasser aus der Thermoskanne.
»Mizuki, warst du schon mal eifersüchtig auf jemanden?«, fragte Yuko unvermittelt.
Mizuki war zuerst verblüfft über die unerwartete Frage, dachte dann aber gründlich darüber nach.
»Ich glaube nicht«, sagte sie.
»Kein einziges Mal?«
Mizuki schüttelte den Kopf. »Vielleicht fällt es mir bloß im Augenblick nicht ein. Eifersüchtig … wie meinst du das genau?«
»Zum Beispiel, du liebst jemanden, aber er liebt eine andere. Oder es gibt etwas, das du unbedingt haben möchtest, und jemand anders schnappt es dir weg. Oder du würdest etwas gern können, und jemand anderem fällt es einfach so zu … Solche Sachen eben.«
»Ich glaube, eigentlich nicht«, sagte Mizuki. »Und du? Bist du eifersüchtig?«
»Andauernd.«
Es verschlug Mizuki die Sprache. Was konnte ein Mädchen wie Yuko sich noch wünschen? Sie war atemberaubend schön, reich, hatte gute Noten, war beliebt. Ihre Eltern verwöhnten sie. Außerdem hatte Mizuki gehört, dass sie sich an Wochenenden mit einem gut aussehenden Studenten traf. Was will sie also mehr, fragte sich Mizuki.
»Sag mal ein Beispiel«, forderte sie Yuko auf.
»Das möchte ich lieber nicht«, sagte Yuko vorsichtig. »Außerdem sind die Einzelheiten nicht wichtig. Ich wollte dich schon lange einmal fragen, Mizuki, ob du manchmal eifersüchtig bist.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Mizuki konnte sich nicht so recht vorstellen, worum es ging, beschloss aber, so aufrichtig wie möglich zu antworten. »Ich glaube, so etwas habe ich noch nicht erlebt«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wieso. Es ist sogar ein bisschen komisch, oder? Ich bin ja nicht sonderlich selbstbewusst und habe auch nicht alles, was ich will. Eher gibt es eine Menge Sachen, über die ich unzufrieden sein müsste, aber aus irgendeinem Grund macht mich das nicht eifersüchtig auf andere. Wieso wohl nicht?«
Yuko Matsunaka lächelte schwach. »Ich glaube, Eifersucht hat nicht viel mit der Realität zu tun. Sie funktioniert nicht nach dem Motto: Wer unter glücklichen Umständen lebt, kennt keine Eifersucht, und wer weniger Glück hat, ist eifersüchtig. Meine Eifersucht ist wie ein Tumor, der von selbst in mir entstanden ist und jetzt unaufhaltsam wuchert. Ich weiß, dass er da ist, aber ich kann nichts dagegen tun. Es ist ja auch nicht so, dass glückliche Menschen keine Tumore bekommen und unglückliche dafür umso leichter, oder?«
Mizuki schwieg. Sie hatte Yuko Matsunaka noch nie solange an einem Stück reden hören.
»Es ist schwierig, es jemandem zu erklären, der noch nie eifersüchtig war. Aber eins kann ich dir sagen, es ist nicht leicht, ständig damit zu leben. Es ist, als würde man eine kleine Hölle mit sich herumtragen. Du kannst dankbar sein, dass du dieses Gefühl nicht kennst.«
Yuko schwieg und sah ihr ins Gesicht. Mizuki konnte ihren Ausdruck nicht deuten, aber er hatte Ähnlichkeit mit einem Lächeln. Wieder einmal dachte sie, wie hübsch Yuko doch war. Schick sah sie aus, und schöne Brüste hatte sie auch. Wie es wohl war, eine Schönheit zu sein, die alle Blicke auf sich zog? Mizuki konnte es sich nicht vorstellen. Konnte man sich einfach daran freuen und stolz darauf sein? Oder überwogen die Schattenseiten?
Mizuki hatte Yuko Matsunaka seltsamerweise noch nie beneidet.
»Ich fahre jetzt nach Hause«, sagte Yuko und blickte auf ihre Hände in ihrem Schoß. »Ein Verwandter von uns ist
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