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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer
Autoren: Unbekannter Autor
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Bein ausrissen, damit er sie besuchte? Richard Jury passierte das nicht. Bei Richard Jury brachte Polly kein Wort heraus. Aber Sprachlosigkeit hieß ja nicht notwendigerweise »Liebe«, oder?
    Bei Melrose war sie nicht sprachlos. Auch nicht schüchtern. Und zurückhaltend schon gar nicht. Sie stand an einem Kupferspülbecken, das ihr als Getränkebar diente, und erkundigte sich mit finsterem Blick: »Und wo wohnen Sie?«
    »Im Bold Blue Boy.« Wo sonst? Das wußte sie doch.
    Sie gab ihm einen Whisky mit Wasser, hielt ihm einen Teller mit winzigen Käsehäppchen hin und setzte sich auf das Sofa ihm gegenüber. »Also, was soll das ganze Getue um Lady Kennington?«
    »Richard Jury hat mich gebeten, sie zu suchen.«
    »Er selbst ist außerstande, sie zu finden? Ist er verblödet oder was?«
    »Also, eigentlich sucht die Polizei in Stratford sie.«
    Vor Spannung geriet Polly außer Atem. »Mein Gott! Was hat sie getan?«
    »Nichts, muß ich Ihnen leider sagen. Sie ist lediglich Zeugin von etwas gewesen.«
    »Etwas? Was für einem Etwas?«
    »Ich kenne die Einzelheiten nicht. Jury ist wegen eines Falles in den USA, und dieser Freund von ihm, der Polizist in Stratford, hat mir eine Nachricht übermittelt.« Melrose hätte ja mit Freuden eine Geschichte über einen Massenmörder erfunden, aber da er einen der Hauptübeltäter kannte, unterließ er das besser. »Wirklich, Polly, ich weiß überhaupt nichts.« Er wechselte das Thema. »Wunderbar, Sie zu sehen, es ist so lange her.«
    »Schaffen Sie es vielleicht, nicht dauernd darüber zu reden, wie die Zeit vergeht?« fragte sie böse.
    Er lachte. »Keine Bange, Sie haben noch viele, viele Jahre des Schreibens vor sich.«
    »Na ja, bis zum absolut letzten, vorletzten Abgabetermin für mein Buch habe ich nicht einmal mehr ein paar Tage.«
    »Deshalb die schlechte Laune?« Polly war Schriftstellerin mit vielen Abgabeterminen. Termine, die man frohgemut ignorieren konnte, solche, die man nicht zu ernst nehmen mußte, solche vor den Abgabeterminen und zum Schluß diejenigen, mit denen nicht mehr zu spaßen war. Sie setzte sich diese verschiedenen Termine, um sich selbst zu überlisten. Melrose hatte noch nie erlebt, daß es funktionierte. »Ich habe eine Freundin in Baltimore, die kettet sich an den Schreibtisch, wenn das hilft.«
    »Das ist ja toll!« Eine Freundin wog nichts gegenüber der Tatsache, daß sie Schriftstellerin war. Eifersucht kam gar nicht erst auf, wenn sie das Vergnügen hatte, übers Schreiben und die Schriftstellerei zu reden. Sie beugte sich vor, auch ihr Drink war nicht mehr wichtig. »Wie macht sie es denn? Ich meine, wenn man sich anketten kann, dann kann man sich auch wieder losmachen und rausgehen.« Wie üblich nahm sie es sehr ernst.
    »Sie legt den Schlüssel irgendwohin, wo sie nicht drankommt.«
    Polly zog die Stirn in tiefe Falten. »Aber .«
    Melrose erklärte, wie Ellen es anstellte.
    »Gott!« Polly fiel zurück aufs Sofa. »Verglichen damit geht's mir ja wohl noch prächtig!«
    Sie fragte nicht, ob Ellen Taylors Bücher gut waren. Sie war an den Qualen, nicht an der Qualität interessiert. Sie redete für ihr Leben gern übers Schreiben. Melrose begriff, daß es für sie etwas Sinnliches war, auf jeden Fall eine Leidenschaft. Es regte sie an. Er erzählte Polly, er schreibe auch einen Krimi.
    Der munter sprudelnde Quell der Begeisterung versiegte rasch. »Sie?«
    »Warum nicht? Ich habe doch lange genug Ihre zerknitterten Entwürfe gelesen.« Vielleicht klang sie deshalb so verächtlich. Wenn er sich selbst in dem Metier versuchte, konnte er sie nicht mehr lektorieren. Er seufzte. »Und dieser absolut letzte Abgabetermin? Für welches Buch ist der?«
    »Erinnern Sie sich an Tod eines Dogen?«
    »Ehrlich gesagt, ich habe versucht, es zu vergessen.«
    »Na, herzlichen Dank. Egal, es ist die Fortsetzung.«
    »Wie bitte?« Wenn es ein Buch gab, für das sich eine Fortsetzung geradezu verbat, dann Tod eines Dogen . »Wissen Sie denn nicht mehr, wie schlecht es Ihnen ging, als Sie es geschrieben haben?«
    »Ja, aber ich mochte Aubrey.«
    Melrose nickte. Sollte er Aubrey Adderly wahrhaftig noch einmal auf seiner mühevollen Flucht durch die nebligen Kanäle Venedigs folgen? »Ich dachte, Sie hätten Aubrey dort das Lebenslicht ausgeblasen.«
    »Nein, Sie meinen jemand anderen.«
    »Wenn ich mich an das richtige Buch erinnere, dann meine ich alle anderen.« Polly murkste problemlos ein Dutzend Menschen auf ebenso vielen Seiten ab. »Polly, die
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