Blinder Eifer
venezianische Konkurrenz ist zu stark. Warum haben Sie keinen anderen Schauplatz genommen? Portsmouth oder Bury St. Edmunds zum Beispiel.«
»Jetzt stellen Sie sich nicht dümmer an, als Sie sind. Solche Orte nimmt man nicht.«
»Das sage ich ja. Was wäre denn mit Littlebourne? Bringen Sie die Bodenheims immer noch um?«
Auch eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. »Julia habe ich gerade zum achtzehntenmal in die Grube fahren lassen.«
Julia Bodenheim war Miles' Tochter, kein simpler Snob, sondern ein Snob auf einem Pferderücken.
»Sie ist auf Fuchsjagd, und da schmeißt ihr Pferd sie beim Sprung über eine Hecke ab, und die halbe Reiterrotte springt hinterher und trampelt sie zu Tode. Ha, da gerinnt einem das Blut in den Adern.« Sie stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Seit Jahren brachte sie die Bodenheims einen nach dem anderen um.
»Ich habe eben Miles Bodenheim aus der Post kommen sehen.« Melrose sank tiefer in den bequemen Sessel. Polly hatte vielleicht keinen Geschmack bei Kleidung, bei Möbeln aber sehr wohl. Ihr kleines Cottage war wunderschön eingerichtet. »Ich kann es nicht fassen, daß es zehn Jahre her ist. Zehn Jahre.« Er studierte den Deckenstuck. »Es ist, als sei die Zeit im Dorf stehengeblieben.«
»Quatsch.«
Diskutieren bedeutete für Polly Widersprechen. Sie reichte ihm die Käsecracker.
»Quatsch? Also ich könnte schwören, Bodenheim sah genauso widerlich aus wie immer, wenn er jemandem erfolgreich das Leben zur Hölle gemacht hat. Diesmal wieder der Frau in der Poststelle - wie heißt sie noch?«
»Pennystevens.« Wenn sie nicht über ihre Bücher sprachen, konnte sie ebensogut eine Illustrierte durchblättern.
»Miss Pennystevens. Also, die wirkte ja schon pensionsreif, als ich sie vor zehn Jahren gesehen habe. Doch siehe da, sie lebt immer noch. Wie all die anderen auch. Bodenheim sieht einschließlich des Eiflecks auf seiner Weste noch genauso aus wie früher.«
»Sie sind bloß sentimental. Wahrscheinlich mögen Sie A. E. Housman - >die blauen Hügel der Erinne-rung<. Das Zeug.«
»Na, Sie hängen aber auch an Ihrem venezianischen Kram!«
Zur Antwort gähnte sie.
»Gut, dann geh ich mal. Sie sind müde.«
Oh, der Schuß war nach hinten losgegangen. »Nein! Nein, Sie brauchen nicht zu gehen ...« Jetzt winselte sie tatsächlich.
»Wir können uns doch morgen treffen, Polly. Vielleicht zum Lunch.«
Sie schaute ihn nachdenklich, ja mißtrauisch an. »Haben Sie sie schon gesehen?«
»Lady Kennington, meinen Sie? Nein, im Pub war sie nicht.«
»Ist sie aber. Ich habe sie gesehen.«
»Ich meine, sie ist irgendwo hingegangen.«
Polly schaute in die Luft. »Wahrscheinlich zu dem Haus, das ihr mal gehörte. Schleicht bestimmt auf dem Grundstück herum.«
In Pollys finsterer Welt gingen die Leute nicht einfach spazieren und schauten sich was an, sondern sie schlichen und spionierten.
Melrose wollte nicht sagen, daß er als nächstes Sto-nington auf dem Programm hatte. »Ich glaube, ich mache einen kleinen Spaziergang durchs Dorf. Mal sehen, ob ich unrecht habe. Mal sehen, ob es nicht überall noch so ist wie früher.«
»Es führt kein Weg zurück.«
Eins der dämlicheren Klischees, die im Umlauf waren, dachte er.
»O doch. Gute Nacht, Polly.«
44/II
Melrose hatte die Steinmauer nie von der anderen Seite gesehen, aber er erinnerte sich an sie und an das kleine Messingschild, in das »Stonington« eingraviert war.
Damals im Sommer hatte er durch die Eisenpforte geschaut. Der Park war verwachsen und ungepflegt gewesen. Nun im Februar erlaubten die kahlen Bäume einen besseren Blick auf das Haus; es war riesig. Er suchte im Steinpfosten eine Rufanlage oder etwas Ähnliches, mittels dessen man um Einlaß bitten konnte. Fehlanzeige. Doch das Tor war weder verschlossen noch zugekettet, er drückte dagegen, und es schwang auf.
Er ging die Kiesauffahrt hinauf. Um die müßte sich auch mal jemand kümmern, dachte er, als er die
Schlaglöcher umrundete. Wie lange stand das Haus wohl leer? Es wirkte, als habe seit Ewigkeiten niemand mehr darin gewohnt. War er jemals an einem so stillen, verlassenen Ort gewesen? Die üppig wuchernden Hecken, die verwahrlosten Blumenbeete hätten das reinste Vogelparadies sein müssen, aber er hörte keine Vögel. Wahrscheinlich stand er immer noch unter dem Einfluß von Baltimore und Edgar Allan Poe, denn er stellte fest, wie sehr er kahle Parks und verlassene Gebäude genoß. Er empfand sie als »poeesk«.
Melrose ging die breiten
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