Blinder Einsatz
geschwankt, doch nun begriff er, dass sein Leben in höchster Gefahr war. Aber er wusste ja nicht einmal, wo er sich befand! Der Raum lieferte keinerlei Hinweise, und von der Straße war kein Laut zu hören. Hugh hatte jegliches Zeitgefühl verloren, er wusste nur, dass mehrere Tage vergangen waren. War es Tag oder Nacht?
Da riss ihn eine Stimme aus seinen Überlegungen.
»Wir brauchen dich.«
Er sah den Mann fragend an.
»Wenn du willst, dass deine Freundin und du am Leben bleiben, dann musst du für uns Poker spielen.«
»Poker?«
»Ja.«
»Wo?«
»In einem Büro vor einem Bildschirm.«
»Aber wozu?«
»Das brauchst du nicht zu wissen. Du sollst nur Geld verlieren, ohne dass es Argwohn erregt.«
»Verlieren?«
»Ist das ein Problem?«
»Aber warum?«
»Ich hab dir schon gesagt, dass dich das nichts angeht! Also?«
Hugh dämmerte allmählich, dass Judith keine normale Spielerin war. Er verstand nun einige der Varianten, die ihn an jenem Abend verwundert hatten. Korruption? Erpressung? Im Moment war es besser, sich nichts anmerken zu lassen. Wenn er sich auf den Vorschlag einließ, konnte er immerhin dieses trostlose Kellerloch verlassen, und vielleicht bot sich ja eine Möglichkeit zur Flucht. Online-Poker zu spielen war für ihn wirklich nicht schwer.
Zwei Stunden später
Zwei Männer erschienen, verbanden ihm die Augen und führten ihn irgendwohin. Zweimal benutzten sie einen Aufzug, und als sie ihm die Binde abnahmen, stand er in einem fensterlosen Büro, das von einer nackten Glühbirne erhellt wurde. Ein Computerbildschirm zeigte die Site von www.raisypoker.com an, die ihm vertraut war.
»Dein Nickname ist Judith, ich denke, das erinnert dich an etwas.«
»Ja, aber ich versichere Ihnen …«
»Das sehen wir später. Du sollst nur gegen einen gewissen Alexandre spielen. Er wird gleich online sein. Du musst 20 000 Dollar verlieren, ohne dabei Verdacht zu erwecken, kapiert?«
»Kein Problem.«
»Und denk daran, wir schauen dir auf die Finger.«
Nach zehn Minuten begann das Spiel. Hugh gewann nur kleine Summen, um dann große zu verlieren. Seine Aufpasser wurden ungeduldig.
»Du hast erst 5000 Dollar verloren?«
»Sie haben gesagt, es soll unauffällig sein, also passe ich auf. Ich kann auch anders spielen, aber das wird Ihnen nicht helfen.«
Als sich das Duell mit dem Spieler namens Alexandre nach dreißig Minuten dem Ende näherte, bemerkte Hugh, dass sein Gegner im Chat war.
Alexandre : »Ich will weiterspielen.«
Hugh drehte sich um und zeigte seinen beiden Bewachern die Nachricht.
»Sag ihm, dass du genug verloren hast.«
Hugh gehorchte.
Die Antwort kam prompt.
Alexandre : »Ich will weiterspielen.«
Hugh schrieb, was man ihm diktierte.
Judith : »Was ist los?«
Alexandre : »Ich muss zwei befreundete Spieler auf dieser Site wiederfinden.«
Judith : »Wen?«
Alexandre : »Will und Hugh.«
Die Anspannung im Büro wuchs. Die Entführer schienen es nicht fassen zu können, was sie da lasen. Es dauerte eine Weile, bis sie Hugh ihre Antwort vorgaben.
Judith : »Diesen Will kenne ich nicht, und Hugh arbeitet für uns. Keine Sorge.«
So war Hugh gezwungen, sich selbst als Komplize des Verbrechens darzustellen, dem er zum Opfer gefallen war.
Alexandre : »Sicher?«
Judith : »Ja. Lass uns weiterspielen.«
Hugh machte ein Rebuy von 20 000 Dollar und verlor weiter gegen Alexandre.
Sobald die Partie vorbei war, fesselte man ihn wieder und schob ihm den Knebel in den Mund.
»Lass ihn einen Augenblick hier, wir bringen ihn später runter.«
Sie schlossen die Tür ab. Woher kannte dieser Alexandre seinen Vornamen? Warum wollte er ihn finden? Die Situation wurde immer undurchschaubarer und gefährlicher. Hugh fühlte sich an jene Filme erinnert, in denen die Gangster ihren Geiseln immer wieder versprechen, sie irgendwann freizulassen, und die dann meist tragisch enden. Das Wichtigste war jetzt herauszubekommen, wo genau er sich befand.
Ausnahmsweise schimpfte er nicht über die Rollen am Bürostuhl, deren praktischer Zweck ihm nie eingeleuchtet hatte. Nun halfen sie ihm, problemlos die Tür zu erreichen. In der Ferne hörte er Stimmen. Durch die Lamellen der Jalousie konnte er in der Dämmerung nur einige Lichter erkennen. Die Stimmen kamen näher. So rasch wie möglich rollte er wieder in seine Ausgangsposition zurück. Sie machten ihn los, entfernten den Knebel und verbanden ihm dafür wieder die Augen.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit. Heute Abend bringen wir die Sache zu
Weitere Kostenlose Bücher