Blinder Hass
Wahrnehmungsproblem? Verdächtigte er bestimmte Leute in der Stadt, weil das die einzigen Leute waren, die er sah, mit denen er sprach oder von denen er gehört hatte? Er hatte sich voll auf Williamson gestürzt. War er dazu veranlasst worden, weil Joan seinen Namen erwähnt hatte, als er sie das erste Mal getroffen hatte? Er dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass es nicht so war. Es könnte so gewesen sein, wenn da nicht die Sache mit der Offenbarung gewesen wäre …
Das Buch mit der Offenbarung des Johannes bei den Gleaons, die Zigarettenkippe bei den Schmidts, der anonyme Brief und die Informationen über die Firmen auf dem Computer von Judds Sekretärin, all das hatte ihn auf Feur gelenkt oder auf Judd und Feur gemeinsam. Er wurde von jemandem manipuliert.
Ein flüchtiger Gedanke: Bills Sekretärin. Wer war sie? Der Hinweis auf eine Verbindung zwischen Judd und Feur stammte aus ihrem Computer. Er hatte ihren Namen gehört, konnte sich aber nicht mehr an ihn erinnern …
Noch mehr Ideen: Konnte er irgendjemanden ausschließen? Wenn er Stryker oder Williamson, die Curlys, die Laymons oder die Judds ausschließen könnte, wüsste er schon etwas. Dann würden die übrigen Verdächtigen schärfer ins Blickfeld rücken. Gehörte Joan zu den Verdächtigen? Sie hatte sich bereits am Mittag seines ersten Tages in Bluestem an ihn herangemacht. Was war mit Jesse Laymon oder ihrer Mutter Margaret? Wie lange hatten sie tatsächlich schon darauf gewartet, dass Judd starb?
Außerdem war der Mörder der Gleasons, der Schmidts und vermutlich auch der Judds irgendwie an Jesse Laymons Kleiderschrank gewesen. Stryker hätte die Gelegenheit gehabt, dachte er. Wer noch? Ihre Mutter streng genommen auch, aber die würde doch Jesse nichts anhängen wollen - zumindest kannte Virgil keinen Grund, weshalb sie das tun sollte. Dann kam noch das Problem hinzu, dass jeder Jugendliche mit einem Stock in das Haus der Laymons hineinkäme …
Hmh.
Virgil nahm seine Waffe, befestigte sie unter seinem Jackett, setzte seinen Strohhut auf und rief Stryker an.
»Als wir in Judds Büro waren und uns den Computer der Sekretärin angesehen haben … Wie war doch gleich ihr Name?«
»Amy Sweet. Meinst du, wir sollten mal mit ihr reden?«
»Dafür brauchst du deine Zeit nicht zu verplempern. Ich fahr vielleicht mal vorbei und plaudere mit ihr«, sagte Virgil. »Ich weiß im Moment nicht so recht, was ich tun soll. Komme nicht drüber hinweg, dass es Junior auf diese Weise erwischt hat.«
»Yeah. Ich glaub immer noch, dass es Feur war. Glaubst du immer noch, dass er’s nicht war?«
»Ich hab mich ein Stückchen in deine Richtung bewegt«, sagte Virgil. »Aber halt dich trotzdem bedeckt.«
Amy Sweet war eine weitere Frau mittleren Alters, die vielleicht mal ein Rockfan gewesen war, jetzt aber zu dick und zu stark in den Schultern gebeugt war. Sie war in einen Hausmantel gehüllt und hatte rosa Lockenwickler im Haar. »Ich würde ja gern mit Ihnen reden«, sagte sie an der Tür ihres kleinen Hauses, »aber ich muss um eins bei einem Vorstellungsgespräch in Sioux Falls sein.«
»Dauert nur ein paar Minuten«, sagte Virgil.
»Was war denn das vorhin für eine Aufregung?« Sie schob ihr Gesicht näher an ihn heran und schielte kurzsichtig.
»Äh, es hat einen weiteren Mord gegeben.«
»O noooo …« Sie ging durch das Zimmer, tastete auf einem TV-Tablett herum, fand eine Brille mit Metallrahmen und setzte sie auf. »Wer?«
»Bill Judd junior.«
»O noooo.« Runde schwedische Oooos.
»Miz Sweet, als wir das Büro von Judd senior durchsucht haben, haben wir auf Ihrem Computer ein paar Rechnungen für Chemikalien gefunden, die offenbar in einer Äthanol-Fabrik in South Dakota verwendet wurden …«
»Ich hab davon im Fernsehen gehört. War das diese Fabrik? In der Drogen gemacht wurden?«
»Ja«, sagte Virgil.
»O noooo.«
Dieser Laut machte ihn wahnsinnig, sie hörte sich an wie eine schlechte Komikerin. »Wer in der Stadt hat von der Äthanol-Fabrik gewusst?«
Sie drehte ihren Kopf zur Seite und legte eine Hand an ihren Mund. »Nun ja, die Judds natürlich.«
»Beide?«, fragte Virgil.
»Nun ja … Junior hat sie bauen lassen, aber Senior wusste davon.«
»Sind Sie sich da ganz sicher?«, fragte er mit Nachdruck.
»Ähm, ja. Er hat die Schecks unterschrieben.«
»Haben Sie gesehen, wie er die Schecks unterschrieben hat?«, fragte Virgil.
»Nein, aber ich habe die Schecks gesehen. Es war seine
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