Blinder Hass
ihnen von den Morden in Bluestem und erklärte, dass Jesse zum Kreis der gefährdeten Personen gehöre.
»Es wär gut, wenn jemand bis heute Abend ihren Bodyguard spielen könnte«, regte Virgil an.
»Ich hüte ihren Body, solange sie das möchte«, sagte Jacobs.
»Ich auch«, sagte Clark.
Jesse sagte: »Haha«, genoss aber die Aufmerksamkeit.
»Mir ist das schon ein bisschen ernst, Jesse«, sagte Virgil. »Ich möchte nicht, dass du draußen herumläufst. Todd ist ziemlich clever, und solange wir nicht wissen, wie wir ihn uns schnappen können, solltest du vorsichtig sein.«
»Mom und ich wollten shoppen gehen und anschließend hierher zurückkommen und Filme gucken«, erklärte sie.
»Achte darauf, dass du nie allein bist«, sagte Virgil. »Dir kann eigentlich nichts passieren, aber bleib nie allein. Ich bin gegen acht zurück, dann verdrahte ich dich. Wenn du auch nur das winzigste Gefühl hast, dass irgendetwas nicht stimmt, geh zu Steve oder Roger oder zu einem der anderen Cops und sag es ihnen.«
»Mir passiert schon nichts«, erwiderte sie.
»Wir passen auf sie auf«, sagte Jacobs.
»Wo fährst du hin?«, fragte Jesse Virgil.
»Ich hab einen Termin bei der Feuerwehr, einen Kurs in HLW, und dann schau ich mich ein bisschen um. Mal sehen, ob ich Todd irgendwo entdecken kann, ohne dabei aufzufallen.«
»HLW?«
»Lebensrettende Sofortmaßnahme«, sagte Virgil.
Sie runzelte die Stirn, dann schüttelte sie den Kopf. »Ist ja auch egal.«
Virgil überließ sie der Obhut von Jacobs und Clark und fuhr nach Bluestem zurück. Unterwegs hielt er bei der Feuerwehr an. Ein kräftiger Mann mit Schnauzbart nahm sich seiner an, führte ihn zu einem Materialschrank und öffnete die Tür. »Bedienen Sie sich«, sagte er.
Außerdem rief Virgil Joan an. »Wo bist du?«
»Auf der Post«, sagte sie.
»Was machst du anschließend?«
»Hmmm. Ich fahr vielleicht nach Hause und guck Fernsehen«, sagte sie. »Was machst du gerade?«
»Ich versuche, meine animalischen Gelüste in Schach zu halten.«
Das Tolle an Sex am Tag, dachte Virgil insgeheim, ist, dass man dabei beobachten kann. Frauen beobachteten nicht so gern, was verständlich war, weil sie ja Männer beobachteten, und Männer beim Sex waren nicht so furchtbar interessant. Zumindest nicht für Virgil. Frauen beim Sex aber schon. Deshalb mochte er Sex am Tag.
»Ich sollte hiermit aufhören und mir was Regelmäßiges suchen«, sagte Joan.
»Du hattest doch was Regelmäßiges.«
»Das stimmt«, sagte sie. »Einmal im Jahr ist regelmäßig, aber nicht gerade häufig. Ich brauche es regelmäßig und häufig. Aber auch nicht stets und ständig, also nicht morgens, mittags und abends.«
»Das hier wäre demnach ein Schäferstündchen in der Mittagspause.«
»Dieses Wort benutzen die Leute doch schon seit fünfzig Jahren nicht mehr«, erwiderte sie. »Du bist ein richtiger Kleinstädter.«
»Ich hab das schon viermal gehört, seit ich hier bin«, sagte er. »So was prägt sich ein.«
»Du hast bestimmt nicht genug Platz im Kopf, um ihn mit kleinstädtischen Redensarten vollzustopfen«, sagte Joan.
»Du kannst mich mal«, sagte Virgil.
Sie drehte sich auf den Bauch. »Was ist denn das große Geheimnis?«
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Todd Williamson sich heute Abend um Kopf und Kragen bringt. Oder seine Unschuld beweist. Mir ist beides recht.«
Ihre Augenbrauen gingen nach oben. »Was willst du denn machen?«
»Das ist kompliziert und vertraulich. Mir ist jedoch beides recht. Wenn ich ihn ausschließen kann … Hmmm. Auch gut.«
Auf dem Weg hinaus bemerkte Virgil einen Haufen mehrfarbiger Blätter auf dem Küchentisch. »Die Ernteversicherung«, sagte Joan. »Alles, was die Bundesregierung in die Hand nimmt, will sie in vier- oder fünffacher Ausfertigung haben, und man braucht Tage , bis man alles ausgefüllt hat. Und beim nächsten Mal fangen die wieder von vorn an.«
Virgil warf einen Blick auf die Formulare. »Meine Güte, da versteh ich ja kein Wort.«
»Ich darf nur beim Vorspiel mitmachen«, sagte sie, »Die Regierung treibt anschließend Gruppensex. Siehst du, das steht da alles …«
Nachdem er Joan verlassen hatte, fuhr Virgil, urplötzlich schlecht gelaunt, hinten am Zeitungsgebäude vorbei.
Und seine Laune wurde immer schlechter.
Er sah Williamsons Truck, also war er vermutlich im Büro. Er parkte zwanzig Minuten lang auf dem Parkplatz des Ace-Baumarkts, beobachtete die Vorderfront des zwei Blocks entfernten
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