Blinder Instinkt - Psychothriller
wurde für einen Moment still, bevor er weitersprach. »Die Sache mit Sina natürlich auch nicht. Hat sich da eigentlich noch jemals was ergeben?«
Max schüttelte den Kopf. »Nein, nichts«, sagte er knapp.
Jürgen nickte, presste die Lippen zusammen. »Mann, ich wollte damals unbedingt zu dir, aber die haben mich nicht gelassen. Meine Eltern nicht, die Bullen nicht und später deine Alten auch nicht … Und dann warst du plötzlich weg.«
Max hörte und spürte in den Worten seines alten Freundes, dass auch er sich schuldig fühlte, dass auch er seit damals etwas mit sich herumschleppte. Was für tiefe Spuren diese Geschichte doch hinterlassen hatte! Nicht nur bei ihm, wie er immer geglaubt hatte, sondern auch bei den Menschen, die hiergeblieben waren, die nicht geflüchtet waren, sondern ihr Leben hier weiterlebten.
»War eine beschissene Situation damals«, sagte Max, »ich konnte mich auch nicht mehr verabschieden.«
Sie sahen sich für ein paar Sekunden wortlos an. Dann nickte Jürgen, und sein Lächeln kehrte zurück. Max erinnerte sich, dass sein Freund schon damals von sonnigem Gemüt gewesen war, ein Mensch, dem schlechte Laune nichts anhaben konnte.
»Aber ein paar Schläge hast du dir von mir abgeguckt«, wechselte er das Thema abrupt, ging in Boxgrundstellung und hob die Arme.
»Fast alle«, sagte Max und musste unwillkürlich grinsen. Es war ihm ganz recht, dass Jürgen nicht länger über Sina sprechen wollte.
»O Mann! Zehn Jahre nicht gesehen, und jetzt steht er vor mir! Aber sag doch, was machst du hier? Warum siehst du dir den alten Gasthof an?«
Max zuckte mit den Schultern. »Ich suche tatsächlich ein ruhiges Haus auf dem Lande«, log er seinen alten Freund an.
»Echt! Das wäre ja ein Ding, wenn wir wieder Nachbarn würden! Aber ausgerechnet hier? Der Schuppen steht schon eine ganze Weile leer. Ich kann mir vorstellen, dass die Bausubstanz ziemlich gelitten hat.«
»Ja, aber es liegt schön ruhig. Ich würde es mir gern mal von innen ansehen. Weißt du, wem es jetzt gehört?«
Jürgen zuckte mit den Schultern und ging ein paar Schritte auf die Ruine zu. »Ich glaube, es gehört immer noch jemandem aus der Familie.«
»Den Sauters?«, fragte Max.
»Ja. Ich komme öfter hier vorbei, ab und zu habe ich einen Wagen hier stehen sehen. Da schaut noch jemand nach dem Rechten. Ein paarmal stand der sogar noch sehr spät abends hier. Keine Ahnung, ob der hier pennt.«
»Hast du jemanden gesehen?«
»Nee. Aber der Wagen hat ein Hannover’sches Kennzeichen, das weiß ich genau. Einer aus der Stadt also. Mein Vater hat mal erzählt, dass der alte Sauter Verwandte in der Stadt hatte. Als der noch lebte, waren die oft zum Feiern, Angeln oder Jagen hier draußen. Der Sauter war ja einer der größten Jagdpächter, hatte auch die Fischereirechte für den Meerbach von Liebenburg bis nach Sahlingen. Nach ihm haben mein Vater und der Bürgermeister sich die Pacht geteilt.«
»Aha«, machte Max. »Und wer könnte mir was Genaues über die Besitzer sagen?«
Jürgen überlegte kurz. »Ich würde auf Bürgermeister Winkler tippen. Der weiß bestimmt was. Um diese Zeit triffst du ihn wahrscheinlich in der Gemeindeverwaltung.«
Schweigend sahen sie sich den alten Gasthof an, der gleichmütig und irgendwie lustlos in der gleißenden Sonne lag. Auf dem hinteren Feld stiegen kreischend ein paar Krähen auf.
Schließlich landete Jürgens Pranke abermals auf Max’ Schulter.
»Mensch! Wie mich das freuen würde, wenn du hierherziehen würdest. Dann müssen wir unbedingt wieder zusammen
angeln gehen. Versprich mir, dass du vorbeikommst, wenn es ernst wird … und sonst natürlich auch jederzeit.«
Max nickte, obwohl er schon jetzt wusste, dass daraus nichts werden würde. Er wollte Jürgen aber nicht enttäuschen. Sein alter Schulfreund freute sich wirklich, es kam von Herzen, und das berührte Max. Schade, dass er aus einem Grund hier war, über den er mit Jürgen nicht sprechen konnte. Vielleicht später irgendwann, wenn es vorbei war.
»Ich verspreche es. Und wenn nicht zum Angeln, dann wenigstens auf ein Bier oder zwei.«
»Klasse! Ich freue mich drauf. Ich würde dich auch jetzt schon einladen, aber ich habe’ne ganze Hucke vollArbeit …«
Max winkte ab. »Ich muss auch wieder los, hab noch ein paar Termine heute. Ich wollte mich hier nur kurz umsehen.«
»Alte Erinnerungen auffrischen, was?«
»Auch, ja.«
Sie reichten sich die Hände und verabschiedeten sich voneinander. Jürgen stieg
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