Blinder Instinkt - Psychothriller
verlangen?«
»Sie tun es für Sarah, nicht für mich.«
Frau Zierkowski sah Franziska an und nickte dabei mehrfach. »Ja, ja, natürlich, für Sarah. Ich besorge Ihnen diese Auflistungen, irgendwie werde ich das schon schaffen. Glauben Sie denn, dass der Täter dort zu finden ist?«
»Bei uns wird nicht geglaubt, bei uns wird ermittelt«, sagte Franziska und war sich im selben Moment bewusst, was das für eine blöde Retourkutsche war. »Und da wir bisher keinen einzigen Anhaltspunkt haben, müssen wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Ihnen mag das mühselig und wenig erfolgversprechend erscheinen, für uns ist es aber wichtige Ermittlungsarbeit.«
Franziska beendete ihre Ausführungen mit einem, wie sie hoffte, aufmunternden Lächeln.
Die Heimleiterin erwiderte es halbherzig. Sie pulte mit dem Zeigefinger an ihrer Schreibtischunterlage und sagte: »Kleinen Mädchen passiert so viel heutzutage, man hört es ja immer wieder. Aber das geschieht doch nur da draußen, nicht hier, nicht bei uns!« Sie schüttelte ihren runden Kopf. »Ich kann es immer noch nicht fassen, dass nun auch eines unserer Kinder … und warum ausgerechnet Sarah!«
»Wie viele blinde Mädchen in dem Alter haben Sie hier?«, ging Franziska auf diese wirklich wichtige Frage ein.
»Siebzehn.«
»Siebzehn«, wiederholte Franziska leise und jetzt fragte auch sie sich, warum ausgerechnet Sarah das Augenmerk des Täters auf sich gelenkt hatte. Sie machte sich eine geistige Notiz, im Büro am Rechner eine Suche nach ähnlichen Fällen zu starten und sich dabei genauso am Aussehen der Kleinen zu orientieren wie an der Tatsache, dass sie blind war. »Sagen Sie, diese blinden Mädchen, schlafen die alle im gleichen Gebäudeflügel wie Sarah?«
Frau Zierkowski nickte. »Im selben Flügel und auf derselben Etage. Es ist für uns einfacher, wenn wir die unterschiedlichen Einschränkungen der Kinder räumlich zusammenfassen. Warum fragen Sie?«
Bevor Franziska ihr antworten konnte, klingelte ihr Handy. Sie zog es aus der Jackentasche, warf einen Blick auf das Display. »Entschuldigen Sie, da muss ich rangehen.«
Es war Paul Adamek, ihr Assistent.
»Wir haben hier etwas gefunden«, sagte er. »Ich hol dich an der Eingangstür ab.«
Franziska verabschiedete sich von der Heimleiterin, ohne auf deren letzte Frage einzugehen, erinnerte nochmals an die Dringlichkeit der Liste und verließ das Gebäude.
Paul Adamek trug Jeans, Stiefel und einen braunen Blouson. Trotz der kühlen Luft schwitzte er und war schmutzig. Sein ohnehin krauses und kaum zu bändigendes schwarzes Haar sah noch strubbeliger aus als sonst, Tannennadeln hingen darin. Franziska hatte ihn seit seinem Anruf noch nicht gesehen; als sie angekommen war, war er schon mit dem Hundeführer und einem Fährtenhund aufgebrochen.
Scheinbar war er hinter dem Hund durchs Unterholz gerobbt.
Paul wirkte müde und aufgeregt gleichzeitig. »Wie war es bei deinen Eltern?«, fragte er.
Franziska hatte ihn vor drei Wochen eingeweiht. »Irgendwie surreal«, sagte sie. »Ich wollte tough sein und ein ernstes Wort mit meinem Vater reden, hab mich aber wie ein Kleinkind gefühlt und wieder hinhalten lassen. Sei bloß froh, dass deine Eltern gesund sind.«
»Dafür habe ich die andere Variante. Weißt du, wie viel Schlaf ich letzte Nacht hatte? Drei Stunden! Unsere Kleine ist wirklich ständig am Schreien!«
»Wart ihr beim Arzt?«
»Noch nicht, aber lange halte ich das nicht mehr aus. Na ja, wenigstens gab es keinen Nachteinsatz. Das hätte mir gerade noch gefehlt.«
»Dafür mal wieder keinen freien Sonntag«, sagte Franziska.
»Soll ich dir was sagen: Ich bin sogar froh, dass ich auf diese Art rauskomme. Ich weiß nicht, wie Miriam das durchhält. Die hat die Kleine nun wirklich vierundzwanzig Stunden am Tag.«
Franziska schmunzelte in sich hinein. Paul Adamek konnte ihr wirklich leidtun. In den letzten Monaten, seitdem seine Tochter Tabea auf der Welt war, hatte er sieben Kilo abgenommen und eigentlich ständig Ringe unter den Augen. Leider hatte er eines dieser Schreikinder erwischt. Franziska mochte sich nicht vorstellen, wie so etwas das Leben veränderte. Immer wenn Paul davon sprach, und das tat er als besorgter Vater oft, schob sie den Gedanken an eigene Kinder ganz weit von sich.
Schulter an Schulter überquerten sie den Parkplatz in Richtung einer ausgedehnten Grünfläche.
»Zum Wald hin wird das Grundstück durch einen Maschendrahtzaun abgegrenzt«, begann Paul seinen Bericht.
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