Blinder Instinkt - Psychothriller
vielen Tasten zwar hart, aber trotzdem äußerst sensibel, bewegten sich in kleinen Schritten vor, und alles, was sie dabei spürten, begann sie sofort zu analysieren.
Das Weiche und Lockere, worauf sie lag, waren ganz eindeutig Laub und Rinde. Aber es waren nur kleine Stücke, und genauso wie das Laub fühlten sie sich feucht an. Hatte es gerade geregnet? Wenn ja, warum war sie selbst dann nicht nass? Lag sie etwa unter einem Dach? Drangen die Waldgeräusche deshalb so seltsam gedrückt zu ihr? Sie legte den Kopf in den Nacken und reckte ihr Kinn nach oben. Wenn sie sich in geschlossenen Räumen befand, konnte sie fühlen, wie weit die Decke entfernt war. Es war wie eine Art menschlicher Ultraschall, aber hier funktionierte es irgendwie nicht richtig. Zwar fühlte sie, dass irgendwas schwer auf
der Umgebung lastete, aber einordnen oder gar als Zimmerdecke erkennen ließ es sich nicht.
Großer Gott! Hier war wirklich nichts so, wie sie es kannte. Absolut nichts!
Mit diesem Gedanken wurde die Angst nun doch zu groß, beanspruchte zu viel Platz in ihrem Körper. Es wurde warm und nass in ihrem Schritt, und weil es ihr peinlich war und sie sich nicht mehr zu helfen wusste, rollte sie sich zusammen wie ein Igel und begann zu weinen. Weinte sich in einen unruhigen Schlaf zurück.
2
Franziska Gottlob stand in der Eingangshalle des Helenenstifts, einem Wohnheim für behinderte Kinder und Jugendliche, und war für den Moment gefangen vom Anblick des riesigen Aquariums, das sich an der Wand gegenüber der Eingangstür befand. Es war an die zwei Meter lang und anderthalb Meter hoch. Die Halle war freundlich und farbenfroh ausgestattet, aber angesichts dieses gläsernen Meeresausschnittes verblasste alles ringsherum.
Für einen Moment blendete es sogar die hektische Betriebsamkeit aus, die in der Eingangshalle und auf dem Parkplatz davor herrschte. Die Spurentechniker ihrer Abteilung gingen mit der gewohnten Ruhe und Akribie vor, aber alle anderen, das Pflegepersonal, die Kinder, einige besorgte Eltern, waren durch den Vorfall in heller Aufregung. Es war schwer, sie in ihren Zimmern oder dem Speisesaal zu halten, damit sie die Arbeit der Beamten nicht störten.
»Frau Gottlob?«
Die freundliche, aber zu laute Stimme riss Franziska aus ihren Gedanken. Sie zuckte zusammen, fuhr herum und sah eine kleine, pummelige Frau hinter sich stehen.
»Habe ich Sie erschreckt? Das tut mir leid. Dieses Aquarium kann einen aber auch wirklich in seinen Bann ziehen, nicht wahr? Ich bin Frau Zierkowski, die Leiterin hier.«
Sie streckte ihre Hand aus und Franziska schüttelte sie. »Kommissarin Gottlob, Kripo Hannover«, stellte sie sich vor.
Frau Zierkowski presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Sie wirkte angespannt, ihre Finger bewegten sich wie Spinnenbeine auf ihren Oberschenkeln.
»Gibt es etwas Neues?«, fragte sie schnell. »Haben Sie eine Spur von Sarah?«
Franziska schüttelte den Kopf. »Leider nein. Frau Zierkowski, ich war am Morgen nicht vor Ort, deshalb haben sich die Kollegen erst einmal der Sache angenommen, aber grundsätzlich leite ich die Ermittlungen. Deshalb würde ich gern mit Ihnen sprechen.«
»Aber natürlich! Kommen Sie, wir gehen in mein Büro, dort ist es ruhiger.« Mit kurzen, emsigen Schritten lief Frau Zierkowski voraus. »Schade, dass Sie nicht etwas früher kommen konnten. Ich sprach grade im Speisesaal mit einigen besorgten Eltern, die heute früh hierhergerast sind, nachdem ein paar der Kinder per Handy die Neuigkeit verbreitet haben … Leider, muss man ja sagen. Die Eltern sind natürlich in heller Aufregung, da wäre eine Kommissarin an meiner Seite nicht verkehrt gewesen.«
»Gab es denn Ärger?«
»Nicht direkt, aber die Fragen war schon heftig. Ich kann das ja verstehen, mein Gott! … Einfach so aus dem Bett gerissen … Quasi unter den Augen des Personals...«
Vor ihrem Büro blieb Frau Zierkowski abrupt stehen und drehte sich um. Sie wirkte nervös und gehetzt. Franziska war froh, nicht in der Haut der Heimleiterin zu stecken.
»Um sieben beim Wecken war Sarah nicht mehr da … Einfach nicht mehr da … Dabei war doch alles so wie immer …«
Sie presste sich die Handfläche gegen den Mund, als müsse sie einen Schrei zurückhalten. Ihre Lippen zitterten, als sie weitersprach: »Entschuldigung, ich …«, sie atmete tief ein und sah Franziska wieder an, »ich habe schon einiges erlebt, gerade was die Schicksale der Kinder angeht, aber dies hier … Nicht zu wissen,
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