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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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konnte. Ich riss die Tür auf, die Heizung lief auf Hochtouren, der Fahrer döste. Er setzte sich erschrocken auf und fluchte.

38
    Die Concorde verließ um elf Uhr vormittags den Flughafen Charles de Gaulle und landete m New York um acht Uhr fünfundvierzig - bevor wir losgeflogen waren, wenn man so wollte. Schrecklich durcheinander betrat ich nachmittags mein Haus, mein Körper vom Jetlag erschöpft, meine Nerven vollkommen zerwühlt. Das Wetter wurde schlechter, überfrierender Regen und Schneeregen waren vorausgesagt, und ich musste noch einige Besorgungen machen, Marino fuhr mit seinem großen Pickup nach Hause.
    Ukrops war leer gekauft, denn wann immer Graupel oder Schnee drohte, verloren die Bewohner von Richmond den Verstand. Sie glaubten, verhungern oder verdursten zu müssen, und als ich zur Backwarenabteilung kam, war kein einziger Laib Brot mehr zu haben. Es gab weder Truthahn noch Schinken, und ich kaufte, was immer ich fand, denn ich rechnete damit, dass Lucy eine Weile bei mir bleiben würde.
    Um kurz nach sechs machte ich mich auf den Heimweg und parkte den Wagen vor dem Haus, weil ich nicht die Energie hatte, in die Garage zu fahren. Die fedrigen weißen Wolken vor dem Mond sahen einen Augenblick lang aus wie ein Totenschädel, dann veränderten sie die Form und zogen weiter, da ein heftiger Wind wehte. Die Bäume flüsterten und knarzten. Ich fühlte mich unwohl, und mein Körper schmerzte, als würde ich krank werden, und da Lucy wieder nicht zu Hause war und auch nicht anrief, wurde ich zunehmend besorgter.
    Ich nahm an, dass sie im MCV war, doch als ich in der orthopädischen Abteilung anrief, sagte man mir, dass sie seit dem gestrigen Vormittag nicht mehr da gewesen sei. Ich wurde panisch, schritt im großen Zimmer auf und ab und dachte nach. Es war fast zehn Uhr abends, als ich wieder ins Auto stieg und ins Zentrum fuhr, meine Nerven so angespannt, dass ich glaubte, sie würden jeden Augenblick reißen.
    Ich wusste, dass Lucy möglicherweise nach D.C. zurückgekehrt war, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mir dann nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen hätte. Wann immer sie wortlos verschwand, bedeutete das nichts Gutes. Ich nahm die Ausfahrt an der Ninth Street und fuhr durch die leeren Straßen und mehrere Parkdecks des Krankenhauses, bevor ich einen Parkplatz fand. Ich griff mir einen Laborkittel vom Rücksitz meines Wagens.
    Die orthopädische Abteilung befand sich im neuen Trakt des Krankenhauses, und als ich vor dem Zimmer stand, zog ich den Kittel an und öffnete die Tür. Neben dem Bett saß ein Paar, von dem ich annahm, dass es sich um Jos Eltern handelte. Ich ging zu ihnen. Jos Kopf war bandagiert, ihr Bein steckte in einem Streckverband, aber sie war wach und sah mich an.
    »Mr. und Mrs. Sanders?«, sagte ich. »Ich bin Dr. Scarpetta.«
    Wenn ihnen mein Name etwas sagte, ließen sie es sich nicht anmerken, aber Mr. Sanders stand höflich auf und schüttelte mir die Hand.
    »Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er.
    Er war überhaupt nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Wie Jo die rigiden Einstellungen ihrer Eltern beschrieben hatte, hatte ich strenge Mienen und Blicke erwartet, die alles sofort taxierten. Aber Mr. und Mrs. Sanders waren übergewichtig, wirkten altmodisch und hatten nichts Furchterregendes an sich. Sie reagierten sehr höflich, sogar schüchtern, als ich mich nach ihrer Tochter erkundigte. Jo starrte mich weiterhin mit einem flehentlichen Blick an.
    »Würden Sie mich einen Augenblick lang mit der Patientin allein lassen?«, fragte ich sie.
    »Natürlich«, sagte Mrs. Sanders.
    »Jo, du tust, was die Frau Doktor sagt«, mahnte Mr. Sanders seine Tochter.
    Sie gingen hinaus, und kaum hatten sie die Tür geschlossen, füllten sich Jos Augen mit Tränen. Ich beugte mich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
    »Wir haben uns alle schreckliche Sorgen um dich gemacht«, sagte ich.
    »Wie geht es Lucy?«, flüsterte sie unter Schluchzen. Die Tränen begannen zu fließen.
    Ich legte ihr Taschentücher in die Hand, in der Kanülen steckten.
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wo sie ist, Jo. Deine Eltern haben ihr gesagt, dass du sie nicht sehen willst und -« Jo schüttelte den Kopf.
    »Ich wusste, dass sie das tun würden«, sagte sie niedergeschlagen. »Ich wusste es. Mir haben sie gesagt, dass sie mich nicht besuchen will. Sie wäre durcheinander nach dem, was passiert ist.
    Ich habe ihnen nicht geglaubt. Ich weiß, dass sie so etwas

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