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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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nie tun würde. Aber sie haben sie vertrieben, und jetzt ist sie verschwunden. Und vielleicht glaubt sie auch, was sie ihr erzählt haben.«
    »Sie gibt sich die Schuld an dem, was passiert ist«, sagte ich. »Es ist gut möglich, dass die Kugel in deinem Bein aus ihrer Waffe stammte.«
    »Bitte, bringen Sie sie zu mir. Bitte.«
    »Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnte?«, fragte ich. »Gibt es einen Ort, wohin sie sich in solchen Situationen zurückzieht?
    Vielleicht in Miami?«
    »Ich bin sicher, dass sie dort nicht ist.«
    Ich setzte mich auf einen Stuhl neben dem Bett und atmete erschöpft aus.
    »Ein Hotel vielleicht? Eine Freundin?«
    »Vielleicht ist sie in New York«, sagte Jo. »Es gibt dort eine Bar in Greenwich Village. Rubyfruit.«
    »Du meinst, sie ist nach New York?«, fragte ich besorgt.
    »Die Besitzerin heißt Ann, sie war früher bei der Polizei«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ach, ich weiß nicht. Ich weiß nicht.
    Sie jagt mir Angst ein, wenn sie einfach so verschwindet. Sie kann nicht richtig denken, wenn sie so ist.«
    »Ich weiß. Und nach allem, was passiert ist, kann sie sowieso nicht richtig denken. Jo, du wirst bald hier rauskommen, wenn du artig bist«, sagte ich und lächelte sie an. »Wohin willst du dann?«
    »Ich möchte nicht nach Hause. Sie werden sie finden, nicht wahr?«
    »Möchtest du bei mir bleiben?«, fragte ich sie.
    »Meine Eltern sind keine schlechten Menschen«, murmelte sie, während das Morphium tröpfelte. »Sie verstehen es nur einfach nicht. Sie glauben - Warum ist es falsch?«
    »Das ist es nicht«, sagte ich. »Liebe ist nie falsch.«
    Ich verließ das Zimmer, als sie eindöste.
    Ihre Eltern standen vor der Tür. Beide wirkten erschöpft und traurig.
    »Wie geht es ihr?«, fragte Mr. Sanders. »Nicht sehr gut«, sagte ich. Mrs. Sanders begann zu weinen.
    »Sie haben jedes Recht zu glauben, was sie wollen«, sagte ich.
    »Aber zu verhindern, dass Jo und Lucy sich sehen, ist das Letzte, was Ihre Tochter jetzt brauchen kann. Sie braucht nicht noch mehr Angst und Niedergeschlagenheit. Sie darf ihren Lebenswillen nicht verlieren, Mr. und Mrs. Sanders.«
    Keiner von beiden sagte etwas.
    »Ich bin Lucys Tante«, sagte ich.
    »Wenn es ihr wieder besser geht«, sagte Mr. Sanders. »können wir es sowieso nicht mehr verhindern. Wir haben nur getan, was wir für das Beste hielten.«
    »Das weiß Jo«, sagte ich. »Sie liebt Sie.«
    Sie verabschiedeten sich nicht, sahen mir jedoch nach, als ich zum Aufzug ging. Zu Hause angekommen, rief ich im Ruby-fruit an und bat darum, mit Ann sprechen zu können. Im Hintergrund hörte ich laute Stimmen und eine Band.
    »Sie ist nicht gerade in Form«, sagte Ann zu mir, und ich wusste, was das bedeutete.
    »Werden Sie sich um sie kümmern?«, fragte ich.
    »Das tue ich schon«, antwortete Ann. »Einen Augenblick. Ich hole sie.«
    »Ich war bei Jo«, sagte ich, als Lucy sich meldete.
    »Oh«, war alles, was sie herausbrachte. Und diesem einen Wort war anzuhören, dass sie betrunken war.
    »Lucy!«
    »Ich will jetzt nicht reden«, sagte sie.
    »Jo liebt dich«, sagte ich. »Komm nach Hause.«
    »Und was soll ich dort?«
    »Wir holen sie zu mir, und du kümmerst dich um sie«, sagte ich.
    »Das werden wir tun.«
    Ich konnte kaum schlafen. Um zwei Uhr nachts stand ich wieder auf und ging in die Küche, um mir eine Tasse Kräutertee zu machen. Noch immer regnete es heftig, Wasser lief vom Dach und platschte in den Garten, und mir war kalt. Ich dachte an die Abstriche, die Haare und Fotos von den Bisswunden in meiner Aktentasche, und fast schien mir, als hielte sich der Mörder in meinem Haus auf.
    Ich spürte seine Anwesenheit, als würden diese Dinge Böses ausstrahlen. Ich dachte, wie ungeheuer ironisch die Sache war.
    Interpol zitierte mich nach Frankreich, und nachdem alles gesagt und erledigt war, hatte ich als einziges legales Beweisstück ein Advil-Fläschchen voller Wasser und Schlick aus der Seine.
    Um drei Uhr saß ich im Bett und schrieb einen Brief nach dem anderen an Talley. Nichts klang richtig. Ich war erschrocken darüber, wie sehr ich ihn vermisste und was ich ihm angetan hatte. Jetzt schlug er zurück, und genau das verdiente ich auch.
    Ich zerknüllte ein weiteres Blatt Briefpapier und starrte auf das Telefon. Ich rechnete aus, wie viel Uhr es in Lyon war, und sah ihn vor mir, wie er in einem seiner edlen Anzüge an seinem Schreibtisch saß. Ich stellte mir vor, wie er telefonierte oder an einer Besprechung teilnahm oder

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