Blinder Passagier
Minerale waren.
Posner nahm den Objektträger heraus und schob einen anderen hinein.
»Die Probe, die Sie der Seine entnommen haben«, sagte er.
»Cymbella, Melosira, Navicula, Fragilaria. Und so weiter. So weit verbreitet wie Staub. Stammt alles aus Süßwasser, das ist okay, aber mehr sagen sie uns nicht.«
Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und sah ihn an.
»Und deswegen haben Sie mich herbestellt?«, sagte ich enttäuscht.
»Na ja, ich bin kein Robert McLaughlin«, erwiderte er trok-ken und meinte damit den weltberühmten Diatomeenforscher, der ihn ausgebildet hatte.
Er beugte sich über das Mikroskop, stellte eine tausendfache Vergrößerung ein und schob mehrere Objektträger hin und her.
»Und nein, ich habe Sie nicht nur deswegen herbestellt«, fuhr er fort. »Wir haben Glück, was die Häufigkeit angeht, mit der jede Spezies in der Flora auftritt.«
Flora war eine botanische Auflistung von Pflanzenspezies oder in diesem Fall von Diatomeenspezies.
»Einundfünfzig Prozent Melosira, fünfzehn Prozent Fragilaria.
Ich will Sie nicht damit langweilen, aber die Proben stimmen hoch überein. So sehr sogar, dass ich sagen würde, sie sind nahezu identisch, was einem Wunder gleich kommt, da die Flora an der Stelle, wo Sie Ihr Advil-Fläschchen eingetaucht haben, vollkommen anders sein könnte als in dreißig Meter Entfernung.«
Ich schauderte beim Gedanken an das Ufer der Ile Saint-Louis und die Geschichten über den nackten Mann, der im Dunkeln so nahe dem Haus der Chandonnes schwamm. Ich stellte mir vor, dass er sich wieder anzog, ohne zu duschen oder sich abzutrocknen, und so die Diatomeen auf die Innenseite seiner Kleidung übertrug.
»Wenn er in der Seine schwimmt und sich diese Diatomeen auf seiner Kleidung finden«, sagte ich, »dann wäscht er sich nicht, bevor er sich wieder anzieht. Was ist mit Kim Luongs Leiche?«
»Definitiv nicht die gleiche Flora wie in der Seine«, sagte Posner.
»Aber ich habe dem James River eine Wasserprobe entnommen, in der Nähe Ihres Hauses übrigens. Und wieder annähernd die gleiche Häufigkeitsverteilung in der Flora.«
»Die Flora auf ihrer Leiche und die Flora des James stimmen also miteinander überein?« Ich wollte ganz sicher sein.
»Die Frage ist, ob Diatomeen aus dem James hier überall zu finden sind«, sagte Posner.
»Sehen wir nach«, sagte ich.
Ich nahm Q-Tipps und machte Abstriche von meinem Unterarm, meinem Haar und meinen Schuhsohlen. Posner präparierte weitere Objektträger. Wir entdeckten nicht eine einzige Diatomee.
»Im Leitungswasser vielleicht?«, fragte ich. Posner schüttelte den Kopf.
»Also sollten sie sich nicht auf einer Person finden, würde ich annehmen, außer diese Person war im Fluss, in einem See, im Meer -«
Ich hielt inne, als mir ein seltsamer Gedanke durch den Kopf schoss.
»Das tote Meer, der Jordan«, sagte ich.
»Wie bitte?«, fragte Posner verdutzt.
»Lourdes«, sagte ich und wurde zunehmend aufgeregt. »Der heilige Fluss Ganges. Alles Gewässer, die angeblich Wunder wirken. In die die Blinden, Lahmen und Gebrechlichen eintauchen, um geheilt zu werden.«
»Er schwimmt um diese Jahreszeit im James River?«, sagte Posner. »Der Kerl muss verrückt sein.«
»Hypertrichose kann nicht geheilt werden«, sagte ich.
»Was ist das denn?«
»Eine schreckliche, extrem seltene Krankheit, der ganze Körper ist bei der Geburt behaart. Hauchfeine Haare, die bis zu fünfzehn, siebzehn oder zwanzig Zentimeter lang werden können.
Unter anderen Anomalien.«
»Na so was.«
»Vielleicht schwamm er nackt in der Seine, weil er hoffte, auf wundersame Weise geheilt zu werden. Vielleicht tut er dasselbe im James«, sagte ich.
»Oh Gott!« sagte Posner. »Was für eine gruslige Vorstellung.«
Als ich in mein Büro zurückkam, saß Marino auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch.
»Du siehst aus, als wärst du die ganze Nacht auf gewesen«, sagte er und schlurfte Kaffee.
»Lucy ist nach New York abgehauen. Ich habe mit Jo und ihren Eltern gesprochen.«
»Lucy ist was?«
»Sie ist auf dem Weg hierher. Alles in Ordnung.«
»Sie sollte besser aufpassen. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, einen auf exzentrisch zu machen.«
»Marino«, sagte ich rasch, »es ist gut möglich, dass der Mörder in Flüssen schwimmt in der Hoffnung, damit seine Krankheit zu heilen. Ich frage mich, ob er irgendwo in der Nähe des James untergeschlüpft ist.«
Er dachte einen Augenblick darüber nach, ein komischer Ausdruck machte sich auf seinem
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