Blinder Passagier
Schwarzweiß über. Er schraubte mehrere Filter vor die Kameralinse. Blau war nicht von Erfolg gekrönt, ebensowenig Gelb, aber als er es mit Rot versuchte, sprangen uns erneut die zwei irisierenden Punkte entgegen. Lapointe vergrößerte sie. Sie waren vollkommen rund. Ich dachte an Vollmond, an einen Werwolf mit bösen gelben Augen.
»Besser kriege ich es nicht hin. Ich mach eine Aufnahme«, sagte Lapointe enttäuscht.
Er speicherte das Bild auf der Festplatte und begann, es zu bearbeiten. Dank der Software konnten wir zweihundert Grauschattierungen sehen, die dem bloßen Auge verborgen blieben.
Lapointe benutzte Tastatur und Maus, wechselte von einem Fenster zum nächsten, veränderte Kontrast, Helligkeit, vergrößerte, verkleinerte und passte an. Er eliminierte Hintergrundgeräusche oder, wie er es nannte, Ausschuss, und schließlich sahen wir Haarporen und dann die Punktierungen, die von der Tätowiernadel stammten. Aus dem Sumpf tauchten schwarze Wellenlinien auf, die zu einem Fell oder zu Federn wurden. Ein schwarzer Strich, aus dem die Blütenblätter von einem Gänseblümchen sprossen, wurde zu einer Kralle.
»Was meinen Sie?«, fragte ich Lapointe.
»Ich glaube, mehr können wir nicht rausholen«, sagte er ungeduldig.
»Kennen wir jemanden, der Experte für Tätowierungen ist?« »Warum fangen Sie nicht mit Ihrem Histologen an?« sagte er.
21
Ich traf George Gara in seinem Labor an. Er holte gerade eine Tüte mit seinem Mittagessen aus einem Kühlschrank, auf dem Keine Lebensmittel stand. In dem Kühlschrank befanden sich Silbernitrat- und Mucinkarminflecken, zudem SchiffReagenzien, nichts davon war vereinbar mit Essbarem.
»Das ist keine so gute Idee«, sagte ich.
»Tut mir Leid«, stotterte er, stellte die Tüte auf eine Ablage und schloss den Kühlschrank.
»Im Aufenthaltsraum steht ein Kühlschrank, George«, sagte ich.
»Sie sind herzlich eingeladen, ihn zu benutzen.«
Er erwiderte nichts, und mir wurde klar, dass er wahrscheinlich nie in den Aufenthaltsraum ging, weil er so unglaublich schüchtern war. Mir tat das Herz für ihn weh. Ich konnte mir nicht einmal annäherungsweise vorstellen, wie sehr er sich als Jugendlicher geschämt haben musste, weil er nicht sprechen konnte, ohne zu stottern. Vielleicht erklärte das die Tätowierungen, die langsam von seinem Körper Besitz nahmen wie eine wuchernde Pflanze. Vielleicht vermittelten sie ihm das Gefühl, etwas Besonderes und männlich zu sein. Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich.
»George, kann ich Sie etwas wegen Ihrer Tätowierungen fragen?«, sagte ich.
Er wurde rot.
»Sie faszinieren mich, und ich brauche Hilfe bei einem Problem.« »Natürlich«, sagte er unsicher.
»Gehen Sie zu jemand Bestimmten? Einem richtigen Fachmann? Jemand, der große Erfahrung mit dem Tätowieren hat?«
»Ja, Ma'am«, sagte er. »Ich würde nicht zu irgendjemand gehen.«
»Lassen Sie sich hier in der Stadt tätowieren? Ich brauche jemanden, dem ich ein paar Fragen stellen kann, möchte aber nicht irgendwelchen üblen Typen begegnen, falls Sie mich verstehen.«
»Pit«, sagte er sofort. »Wie in Pitbull, aber Pit ist sein richtiger Name. John Pit. Er ist wirklich gut. Soll ich ihn für Sie anrufen?«, fragte er fürchterlich stotternd.
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar«, sagte ich.
Gara zog ein kleines Adressbuch aus seiner Gesäßtasche und suchte nach einer Nummer. Als er Pit am Telefon hatte, erklärte er ihm, wer ich war, und Pit schien offenbar sehr angetan.
»Hier.« Gara reichte mir den Hörer. »Den Rest überlasse ich Ihnen.«
Das war nicht einfach. Pit war zu Hause und dabei, aufzuwachen.
»Meinen Sie, dass Sie mir weiterhelfen können?«, fragte ich. »Ich habe so ziemlich allen Flash gesehen, der rumläuft«, sagte er.
»Tut mir Leid. Ich weiß nicht, was das ist.«
»Flash, könnte man sagen, sind die Stempel. Sie wissen schon, die Motive, die sich die Leute aussuchen. Jeder Zentimeter meiner Wände ist mit Flash bedeckt. Deswegen glaube ich, dass es besser ist, wenn Sie herkommen, statt dass ich in Ihr Büro komme. Wir könnten etwas sehen, was uns einen Hinweis gibt.
Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich mittwochs und donnerstags geschlossen habe. Und das letzte Wochenende hat mich fast umgebracht. Ich bin immer noch dabei, mich zu erholen. Aber für Sie mach ich auf, da es wichtig zu sein scheint. Bringen Sie den Typ mit der Tätowierung mit?«
Er hatte noch nicht verstanden.
»Nein, ich bringe die Tätowierung«, sagte
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