Blinder Passagier
Schuhen und den Socken?«
»Sie waren ausgezogen. Genau dort, wo sie jetzt liegen. Wir haben sie nicht angefasst.«
Ich musste Schuhe und Socken nicht in die Hand nehmen, um zu sehen, dass sie voller Blut waren.
»Warum zieht er ihr Schuhe und Socken, nicht aber die Hose aus?«, fragte einer der Polizisten.
»Ja. Warum macht jemand etwas so Sonderbares?«
Auch auf ihren Fußsohlen waren getrocknete Blutflecken.
»Im Leichenschauhaus kann ich sie unter besseren Lichtverhältnissen untersuchen«, sagte ich.
Die Schusswunde vorn im Hals war nicht zu übersehen. Es war eine Eintrittswunde, und ich drehte ihren Kopf so weit um, dass ich die Austrittswunde in der linken Nackenhälfte sehen konnte. Die Kugel hatte ihre Halsschlagader getroffen.
»Wurde die Kugel gefunden?«, fragte ich Ham.
»Sie steckte in der Wand hinter dem Ladentisch«, sagte er und mied meinen Blick. »Bislang keine Hülse, falls es eine gibt.«
Wenn er mit einem Revolver geschossen hatte, gäbe es keine Hülse. Bei Pistolen fielen die Patronenhülsen heraus, was das einzig Hilfreiche war, wenn sie für Gewalttaten benutzt wurden. »Wo in der Wand?«, fragte ich.
»Wenn Sie vor dem Ladentisch stehen, dann links von der Stelle, wo der Stuhl vor der Kasse gestanden hat.«
»Die Austrittswunde ist ebenfalls auf der linken Seite«, sagte ich. »Wenn sie sich direkt gegenüberstanden, als sie erschossen wurde, können Sie nach einem Linkshänder suchen.«
Kim Luongs Gesicht war schrecklich zerkratzt und eingeschlagen, die Haut aufgerissen und zerfetzt von Schlägen mit einem Gegenstand, der ein Muster aus runden und geraden Verletzungen hinterließ. Wie es schien, hatte er sie auch mit den Fäusten misshandelt. Als ich sie nach Brüchen abtastete, gaben kleine Knochenstückchen unter meinen Fingern nach. Ihre Zähne waren eingeschlagen und in den Mund gedrückt.
»Halt sie hierhin«, sagte ich zu Marino.
Er bewegte die Taschenlampe nach meinen Anweisungen, und ich drehte ihren Kopf vorsichtig nach links und rechts, tastete ihren Schädel durch die Haare hindurch ab und überprüfte ihren Nacken und ihren Hals auf den Seiten. Ich fand weitere Knöchelabdrücke und runde und gerade Verletzungen und hier und da auch unterschiedlich tiefe Abschürfungen.
»Abgesehen davon, dass sie ihr die Hose heruntergezogen haben, um ihre Temperatur zu messen«, sagte ich zu Ham, weil ich mich vergewissern musste, »haben Sie sonst irgendetwas verändert?«
»Nein, Ma'am, ansonsten ist sie unverändert«, erwiderte er. »Ihr Pullover und ihr BH waren genau so.« Er deutete mit dem Finger. »In der Mitte durchgerissen.«
»Mit bloßen Händen.« Marino ging neben mir in die Hocke.
»Verdammt, der Typ hat Kraft. Doc, sie war doch schon so gut wie tot, nachdem er sie hergeschleift hatte, oder?«
»Nicht ganz. Ihr Gewebe reagierte noch auf die Verletzungen.«
»Aber so wie's aussieht, hat er praktisch eine Leiche noch mal totgeschlagen«, sagte Marino. »Sie hat doch nicht dagesessen und mit ihm diskutiert. Sie hat nicht gekämpft. Hier sind keinerlei Kampfspuren. Nichts umgeworfen oder verschoben. Nirgendwo blutige Fußspuren.«
»Er kannte sie«, sagte Anderson in meinem Rücken. »Es muss jemand gewesen sein, den sie kannte. Sonst hätte er sie wahrscheinlich nur erschossen, das Geld genommen und wäre abgehauen.«
Marino war noch immer neben mir, die Ellbogen auf die großen Knie gestützt, die Taschenlampe in der Hand. Er blickte zu Anderson, als hätte sie den Intelligenzquotienten einer Banane.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie auch Täterprofile erstellen«, sagte er. »Haben Sie einen Kurs gemacht?«
»Marino, leuchte hierher«, sagte ich. »Sonst sehe ich nichts.«
Der Lichtschein fiel auf ein blutiges Muster, das ich bislang nicht bemerkt hatte, weil ich zu sehr mit den Verletzungen beschäftigt gewesen war. Praktisch jeder Zentimeter nacktes Fleisch war mit blutigen Wirbeln und Strichen bedeckt, als wäre sie mit den Fingern bemalt worden. Das Blut trocknete und hatte bereits erste Risse. Und ich sah Haare, lange helle Haare klebten in ihrem Blut.
Ich wies Marino darauf hin. Er beugte sich vor.
»Kein Wort«, warnte ich ihn, als er begriff, was ich ihm da zeigte.
»Hier kommt der Chef«, verkündete Egglestone, als er vorsi-chig über die Schwelle trat.
In dem Raum, in dem es aussah, als wäre ein Blutsturm darüber hinweggefegt, befanden sich zu viele Personen, die Luft war stickig. »Wir werden mit Fäden messen«, sagte Ham zu
Weitere Kostenlose Bücher