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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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befehlen.
    »Oh nein!«, rief Marino hinter ihr her, so laut er konnte. »Da täuschst du dich, Baby. Ich habe ganz vergessen, es dir zu sagen. Ich kündige verdammt noch mal!«
    Über Funk wies er Ham an, die Sanitäter hereinzuschicken, während ich in Gedanken Berechnungen anstellte, deren Ergebnisse nicht zusammenpassten.
    »Der hab ich's gezeigt, was, Doc?«, sagte Marino, aber ich hörte ihm nicht zu.
    Die Alarmanlage war um sechzehn Minuten nach sieben losgegangen, und jetzt war es gerade mal halb zehn. Die Todeszeit war schwer fassbar und trügerisch, wenn man nicht darauf achtete, alle Variablen in Betracht zu ziehen, aber Kim Luongs Körpertemperatur, livor mortis, rigor mortis und der Zustand der Blutflecken passten nicht dazu, dass der Tod erst vor zwei Stunden eingetreten sein sollte.
    »Hab das Gefühl, als kämen die Wände auf mich zu, Doc.«
    »Sie ist mindestens vier bis fünf Stunden tot«, sagte ich.
    Er wischte sich das schweißbedeckte Gesicht am Ärmel ab, seine Augen waren nahezu glasig. Er konnte nicht still halten und tippte nervös auf die Schachtel Zigaretten in seiner Jeanstasche.
    »Seit drei oder vier Uhr nachmittags? Du machst wohl Witze. Was hat er die ganze Zeit gemacht?«
    Sein Blick schweifte immer wieder zur Tür. Er wartete, wer als Nächster kommen würde.
    »Ich denke, dass er eine ganze Menge mit der Leiche gemacht hat«, sagte ich.
    »Ich hab mich vermutlich ganz schön in die Scheiße geritten«, sagte Marino.
    Schlurfende Schritte und das Geklapper einer Bahre waren zu hören. Gedämpfte Stimmen.
    »Ich glaube nicht, dass sie deinen letzten diplomatischen Zuruf gehört hat«, sagte ich zu ihm. »Vielleicht solltest du es dabei belassen.«
    »Meinst du, dass er so lange hier geblieben ist, weil er mit seiner blutbefleckten Kleidung nicht bei hellichtem Tag rausgehen wollte?«
    »Ich glaube nicht, dass das der einzige Grund war«, sagte ich, als zwei Sanitäter in Overalls die Bahre hochkant nahmen, damit sie durch die Tür passte.
    »Hier ist eine Menge Blut verspritzt worden«, sagte ich zu ihnen. »Machen Sie einen Bogen drum.«
    »Himmel«, sagte einer von ihnen.
    Ich nahm die zusammengefalteten Papiertücher von der Bahre, und Marino half mir, eines davon auf dem Boden auszubreiten.
    »Wenn ihr sie ein bisschen hochheben könnt, ziehen wir das Tuch unter sie«, sagte ich. »Gut. Das reicht.«
    Sie lag auf dem Rücken. Blutige Augen starrten uns aus zerschlagenen Augenhöhlen an. Mit Plastik verstärktes Papier raschelte, als ich sie mit dem zweiten Tuch zudeckte. Wir hoben sie in den dunkelroten Leichensack auf der Bahre und zogen den Reißverschluss zu.
    »Draußen wird es eiskalt«, sagte ein Sanitäter zu uns.
    Marinos Blick schweifte durch den Laden und hinaus auf den Parkplatz, wo noch immer rote und blaue Lichter blinkten, aber die Aufmerksamkeit hatte beträchtlich nachgelassen. Die Journalisten waren in ihre Redaktionen zurückgekehrt, nur noch die Kriminaltechniker und ein uniformierter Polizist waren da.
    »Ja, richtig«, murmelte Marino. »Ich bin zwar vom Dienst suspendiert, aber siehst du hier irgendwo einen anderen Detective, der den Fall bearbeitet? Ich sollte alles den Bach runtergehen lassen.«
    Wir gingen zu meinem Wagen, als ein alter blauer VW-Käfer auf den Parkplatz fuhr. Der Motor wurde abgewürgt, und die Kupplung krachte. Die Fahrertür wurde aufgestoßen, und ein blasses junges Mädchen mit kurzem dunklem Haar flog fast heraus, so eilig hatte sie es. Sie lief auf die Bahre zu, die die Sanitäter gerade in den Krankenwagen hoben. Sie rannte, als wollte sie über sie herfallen.
    »He!«, schrie Marino und lief ihr nach.
    Sie erreichte den Krankenwagen, als die Hecktüren ins Schloss fielen. Marino hielt sie fest.
    »Ich will sie sehen!«, schrie sie. »Bitte, lassen Sie mich los. Ich will sie sehen!«
    »Das geht nicht, Ma'am«, sagte Marino.
    Die Sanitäter öffneten ihre Türen und stiegen ein.
    »Ich will sie sehen!«
    »Es wird alles wieder gut werden.«
    »Nein! Nein! Bitte, oh Gott!«, schrie sie ihren Schmerz heraus.
    Marino hielt sie von hinten fest. Der Dieselmotor sprang an, und ich konnte nicht mehr hören, was er sonst noch zu ihr sagte, aber er ließ sie los, als der Krankenwagen davonfuhr. Sie fiel auf die Knie, führte die Hände an den Kopf und starrte in die eisige bewölkte Nacht, schrie und klagte und rief immer wieder den Namen der getöteten Frau.
    »KIM! KIM! KIM!«

25
    Marino beschloss, da zu bleiben, während Egglestone

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