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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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beobachtete uns, und ich hasste es, wenn ich in Anwesenheit der Polizei jedes Wort auf die Waagschale legen musste. Aber das war bisweilen unumgänglich. Im Lauf der Jahre hatte ich mit Polizisten gearbeitet, die heimlich Informationen weitergaben, deswegen hatte ich keine andere Wahl, als sie wie einen Feind zu behandeln.
    »Sie war bestimmt nicht gleich tot«, fügte Marino hinzu. »Ein Loch in der Halsschlagader setzt einen nicht sofort außer Gefecht«, sagte ich zu ihm. »Man kann dir die Kehle aufschlitzen, trotzdem kannst du noch die Polizei rufen. Sie hätte nicht sofort bewegungsunfähig sein dürfen, aber sie war es offensichtlich.«
    Die Blutspuren wurden niedriger und schwächer, je weiter wir den Gang entlanggingen, und mir fiel auf, dass kleine Blutspritzer bereits getrocknet waren, während größere gerade gerannen. Wir folgten den Streifen und Flecken an Kühlschränken mit Bier vorbei, durch eine Tür, die in den Lagerraum führte, wo Kriminaltechniker Gary Ham kniete und ein anderer Beamte Fotos machte. Beide kehrten mir den Rücken zu und blockierten meine Sicht.
    Als ich um sie herumtrat, blieb mir die Luft weg. Kim Lu-ongs Blue Jeans und Unterhose waren bis zu den Knien heruntergezogen und ein chemisches Thermometer war in ihr Rektum eingeführt worden. Ham blickte zu mir auf und erstarrte, als wäre er beim Klauen ertappt worden. Wir arbeiteten seit Jahren zusammen.
    »Was glauben Sie eigentlich, dass Sie da tun?«, fragte ich ihn in einem harten Tonfall, den er noch nie zuvor von mir gehört hatte.
    »Ich messe ihre Temperatur, Doc«, sagte Ham.
    »Haben Sie einen Abstrich gemacht, bevor Sie das Thermometer eingeführt haben? Für den Fall dass sie vergewaltigt wurde?«, fragte ich in demselben zornigen Tonfall wie zuvor, während Marino um mich herumging und die Leiche anstarrte.
    Ham zögerte. »Nein, Ma'am, habe ich nicht.«
    »Zeit zu verschwinden«, sagte Marino zu ihm.
    Ham war Ende Dreißig, ein großer, gut aussehender Mann mit dunklem Haar, großen braunen Augen und langen Wimpern.
    Es war nichts Ungewöhnliches, dass ein bisschen Erfahrung jemanden wie ihn glauben machte, er könne die Arbeit von Gerichtsmedizinern und Pathologen übernehmen. Aber bislang hatte Ham seine Grenzen gekannt und war immer respektvoll gewesen.
    »Und wie soll ich jetzt, da Sie einen harten Gegenstand in eine ihrer Körperöffnungen eingeführt haben, das Vorliegen irgendeiner Verletzung interpretieren?«, sagte ich.
    Er schluckte.
    »Wenn ich in ihrem Rektum eine Kontusion finde, wie kann ich dann vor Gericht beschwören, dass sie nicht von dem Thermometer stammt? Und wenn Sie sich nicht irgendwie für die Sterilität ihrer Instrumente verbürgen können, kann auch noch jede DNS-Analyse infrage gestellt werden«, fügte ich hinzu.
    Hams Gesicht war rot.
    »Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Artefakte Sie hier geschaffen haben, Officer Ham?«, fragte ich ihn.
    »Ich war sehr vorsichtig.«
    »Bitte, gehen Sie mir aus dem Weg. Jetzt.«
    Ich öffnete meinen Koffer und nahm wütend Handschuhe heraus, ich schob die Finger hinein, und schon klatschte das Latex.
    Ich reichte Marino eine Taschenlampe und studierte meine Umgebung. Der Lagerraum war schwach beleuchtet; hunderte Sechserpacks Bier und Limonade in bis zu sechs Meter Entfernung waren mit Blut bespritzt. Nahe der Leiche standen Kartons mit Tampax und Papierhandtüchern, ihr Boden vollgesogen mit Blut. Es gab keine augenscheinlichen Anzeichen, dass sich der Mörder für irgendetwas anderes als sein Opfer interessiert hatte.
    Ich ging in die Hocke und betrachtete die Leiche, versuchte, Schattierungen und Strukturen von Fleisch und Blut wahrzunehmen, jeden Strich der infernalischen Kunst des Mörders. Bislang hatte ich noch nichts berührt.
    »Himmel, der hat sie wirklich noch grün und blau geprügelt«, sagte der Polizist, der fotografierte.
    Es sah aus, als hätte ein wildes Tier die Sterbende in seine Höhle gezerrt, um sie dort zu zerfleischen. Er hatte ihren Pullover und ihren BH zerrissen, Schuhe und Socken ausgezogen und sie neben sie geworfen. Sie war eine korpulente Frau gewesen, mit breiten Hüften und schweren Brüsten. Die einzige Möglichkeit, wie ich mir ein Bild von ihrem Gesicht machen konnte, war ihr Führerschein, den man mir zeigte. Kim Luong war hübsch gewesen, mit einem schüchternen Lächeln und langem, glänzend schwarzem Haar.
    »Hatte sie die Hose an, als sie gefunden wurde?«, fragte ich Ham.
    »Ja, Ma'am.«
    »Was ist mit den

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