Blinder Rausch - Thriller
sie.
»Doch«, bestätigt Marianne bitter, dann schluchzt sie auf. »Sie sprechen von hinreichendem Tatverdacht und Beweisen, die sie angeblich haben. Aber das kann einfach nicht sein! Du weißt doch auch, dass er es gar nicht gewesen sein kann, Leonie!« Mariannes Stimme überschlägt sich. »Ja, natürlich«, stammelt Leonie. Von der Toilette kommt gedämpft Tobis Stimmchen »Maaaaaama, abputzen!« Leonies Mutter geht. Mariannes verschleierter Blick heftet sich an Leonie und sie zischt: »Du hast deiner Mutter immer noch nicht gesagt, dass du von Freitag auf Samstag mit Niklas zusammen warst! Mach das endlich, sonst mach ich es! Das wirst du wohl verstehen!«
»Nicht jetzt, bitte!«, wimmert Leonie. Im Flur nähern sich die Schritte der Mutter. »Wir treffen uns jetzt gleich unten in der Waschküche, hast du verstanden?«, raunt ihr Marianne schnell zu. Leonie nickt.
Etwas später ist der Gang durch das Treppenhaus ein merkwürdiger Spießrutenlauf. Im ersten Stock steht die Warnecke und poliert ausführlich das geöffnete Fenster, welches zum Hof hinaus geht. Ab und zu beugt sie sich nach draußen, anscheinend hat sie bemerkt, dass Marianne nach hinten herausgegangen ist, und hält jetzt Ausschau nach ihr. Vor ihrer Wohnungstür im Parterre stehen die Hofmeisters und unterhalten sich mit einer Nachbarin aus dem Nebenhaus. Als sie Leonie entdecken, verstummen sie. Leonie spürt ihre Blicke im Rücken, als sie sich zur Hoftür wendet und versucht, die Steinstufen so beschwingt und unverdächtig wie möglich hinunterzuhüpfen. Die Tür der Waschküche ist angelehnt. Marianne sitzt zwischen den Fahrrädern und dem alten Waschkessel auf einem Gartenstuhl und raucht mit hastigen Zügen. Leonie schließt die Tür mit einem festen Ruck, denn das alte Holz ist aufgequollen und schabt über dem Boden. »Die Warnecke ist oben am offenen Fenster«, erklärt sie. Dann greift sie nach einem Klappstuhl, streift ein paar Spinnweben mit der Hand ab und setzt sich gegenüber von Marianne hin. Marianne zieht hastig an der Zigarette und sieht Leonie beschwörend an: »Du musst heute noch zur Polizei gehen und ihnen sagen, dass Niklas mit dir zusammen war.« »Hast du das der Polizei bereits gesagt?«, fragt Leonie. »Dazu bin ich noch gar nicht gekommen!«, braust Marianne auf. »Sie sind momentan total fixiert auf Niklas. Scheinen nur in diese Richtung zu ermitteln! Für die gibt es überhaupt keinen anderen Täter mehr, so wie die sich mir gegenüber aufgeführt haben!«
»Wo ist er jetzt?«, unterbricht Leonie.
»Was weiß ich? Vermutlich immer noch im Präsidium. Ich glaube, ich muss mir einen Anwalt nehmen. Ich weiß gar nicht, ob die das alles dürfen, was sie da machen. Er ist doch noch keine achtzehn. Heute Mittag sind sie einfach bei mir im Laden aufgetaucht und haben mir mitgeteilt, dass sie die Wohnung durchsuchen und Spuren sichern wollen. Jetzt sind etwa zehn Leute da oben. Jeden Winkel nehmen die sich vor. Weiß du, wie ich mich jetzt fühle? Wie der letzte Dreck«, schluchzt sie auf und sucht dann beschwörend Leonies Blick: »Leonie, ich flehe dich an! Geh rauf! Jetzt sofort! Sag ihnen, dass sie dort nichts finden können. Sag ihnen, dass du den ganzen Abend mit ihm zusammen warst!« Mariannes Augen scheinen sie zu durchbohren. Leonie windet sich mit gequälter Miene.
»Das kann ich nicht!«, sagt sie leise.
»Was?«, schreit Marianne auf. »Das kannst du nicht? Ich denke, Niklas ist dir wichtig! Wieso hast du keinen Mumm in den Knochen, endlich mit der Wahrheit rauszurücken?« Mariannes Gesicht ist jetzt rot vor Wut und Verachtung. Leonie schluckt, dann fährt sie zitternd fort: »Es ist nicht, weil ich keinen Mut dazu habe, sondern ich kann das nicht sagen, weil es nicht die Wahrheit ist.«
Marianne schaut wie vom Donner gerührt. »Das ist nicht die Wahrheit?«, flüstert sie. »Und was ist dann die Wahrheit?«
Leonie beißt sich auf die Unterlippe. »Die Wahrheit ist, dass ich erst morgens früh gekommen bin und nicht sagen kann, wo Niklas am Abend war.«
»Erst morgens früh?«, fährt Marianne auf. »Und wo kamst du her?«
»Von woanders«, erklärt Leonie. Marianne schaut ihr forschend in die Augen.
»Von woanders!«, wiederholt sie dann bitter. »Das soll ein Mensch verstehen!« Sie tritt ihre Zigarette mit hastigen Bewegungen auf dem Betonboden aus und springt auf. »Na ja, ist ja auch egal, wo du warst, jedenfalls werde ich jetzt gehen und mir einen Anwalt besorgen.« Marianne reißt die
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