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Blinder Rausch - Thriller

Blinder Rausch - Thriller

Titel: Blinder Rausch - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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führen könnte. Vor Leonies Augen entsteht das Bild, wie ein Mensch mit einem Stock auf einem riesigen Müllberg nach Verwertbarem sucht. Gibt es das bei uns? Und wenn dann doch jemand das T-Shirt findet? Aber eigentlich gibt es doch solche Müllberge nicht mehr, eigentlich landet das doch gleich in der Verbrennungsanlage. Dieser letzte Gedanke beruhigt sie jedoch nicht, sondern lässt die dunkle Vorahnung in ihr aufsteigen, dass alles längst noch nicht vorbei ist, sondern nur der Beginn einer wachsenden Katastrophe.

    Dies bestätigt sich gleich am nächsten Tag. In der Schule hat man sich auf Rat der Psychologen vier Unterrichtsstunden lang bemüht, so viel Alltag wie möglich zuzulassen. Dennoch findet in jeder Stunde irgendein Austausch über das Geschehen statt. Allerdings nicht so ausführlich, wie das am Nachmittag und Abend davor schon im Internet geschehen ist. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit hört und liest man von Leonie keinerlei Kommentar. Oliver fehlt, er hat jedoch seine Beschuldigungen gegen Niklas bereits bei MYFRIENDS gepostet. »Ob er’s war oder nicht, der Mettner ist jetzt schon fertig«, stellt Andy mit kühler Miene fest. Am Morgen haben Anwohner und Eltern Blumen auf der Schultreppe abgelegt. Der Berg wächst bis zur großen Pause an, sodass nur noch ein schmaler Durchgang für die Schüler bleibt. Der Schulleiter lässt vom Hausmeister wegen der Rutschgefahr die Treppe räumen. Er macht eine Durchsage, dass im hinteren Schulhof an der großen Kastanie eine Trauerecke für Denise eingerichtet wurde, er bittet aber, aus feuerpolizeilichen Gründen das Abstellen brennender Kerzen zu unterlassen. »Scheiße«, sagt Andy, »ausgerechnet bei der großen Kastanie, die einzige Ecke, wo man hier ungestört rauchen kann.« Einige werfen ihm böse Blicke zu, andere grinsen.
    In der 5. Stunde findet für die Klassen 9 und 10 eine Trauerfeier für Denise statt. Leonie sitzt neben Hanna und Sercan. »Nik ist heute nicht gekommen«, berichtet er. Leonie fährt erschrocken auf: »Weißt du, warum?« »Er hat mir heute Morgen eine SMS geschrieben, dass er noch einmal zur Polizei muss.« »Das hatten sie ihm gestern schon angekündigt. Meinst du, es gibt ’was Neues?« Sercan zuckt mit den Schultern. »Auf die nächsten SMS en hat er nicht mehr geantwortet.« Leonie zieht schnell ihr Handy hervor und schreibt verdeckt unter ihrer Tasche, die sie auf dem Schoß abgelegt hat, eine SMS . »Hey, Nik, sei stark, ich glaub an dich. Wie läuft’s?«
    Der Schulleiter hält eine kleine Rede. Er sagt, dass Denise ein nettes und bei allen Schülern und Lehrern beliebtes Mädchen gewesen sei. Auch habe sie sich ganz besonders für die Belange der Mitschüler einzusetzen versucht, denn sie habe sich für die Wahl zur Klassensprecherin aufstellen lassen und sei nur knapp gescheitert. Leonies Gedanken schweifen ab. Sie selbst war dem Schicksal Denises nur knapp entkommen. Ob der Stahlberg über sie auch so gesprochen hätte? Sie versucht, sich Denise vorzustellen. Nett und beliebt? Wirklich? Nun, bei manchen schon. Sie denkt an ihre Zickenkriege mit Denise. Es fällt ihr kein Anlass ein, durch den sie ausgelöst wurden. Auch die alte Wut und Aufgebrachtheit ist weg. Vielmehr denkt sie jetzt an das Telefongespräch mit Denises Mutter. Sie kann sich wenig vorstellen, wie es bei Denise zu Hause zugegangen sein muss. Auf jeden Fall nicht so wie bei Leonie, wo alles schön geregelt und aufgeräumt ist, wo die Eltern zwar berufstätig, aber doch immer präsent sind, wenn sie gebraucht werden.
    Denises Mutter war nie zu einem Elternabend gekommen, das weiß Leonie. Wie viel Mut und Kraft braucht ein Mädchen, wenn es wie Denise nach außen hin ein ganz anderes Bild abgeben will? Leonie erinnert sich, dass ihr jemand einmal erzählt hat, er habe Denise morgens vor der Schule beim Zeitungsaustragen gesehen. Leonie hatte das auf Anhieb nicht geglaubt. Die doch nicht! Jetzt leuchtet es ihr ein. Denise muss das ganze Geld für ihren Klamottenzauber selbst dazuverdient haben. Eigentlich hätte man ihr sagen müssen: Mensch Denise, mach dich mal locker, so viel Aufwand ist doch nicht nötig. Bist auch so O.K . Gönn dir für das Geld lieber was Gescheites! Aber das hatte niemand gesagt. Weil alle nur auf die Verpackung achten, deshalb , denkt Leonie. So ein Scheiß! Und plötzlich steigt in ihr die Gewissheit auf, dass genau das Denise zum Verhängnis wurde. Jemand hat aus ihrem Auftreten falsche Schlüsse gezogen. Jemand hat

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