Blinder Stolz: Thriller (German Edition)
Instinkt – Eigenschaften, die ihm in seinem Job als Strafverteidiger überaus gelegen kamen. Sein Boss hatte trotz des lockeren Geplänkels sofort gespürt, dass etwas im Busch war. Wann war Dodge das letzte Mal an einem Samstagmorgen um diese Uhrzeit bei ihm zu Hause aufgetaucht? Genau. Noch nie.
Dodge zuckte mit gespielter Lässigkeit die Schultern und nippte an seinem Kaffee, während er einen Anflug von Gewissensbissen niederkämpfte. Er würde den Mann belügen müssen, der beinahe so etwas wie ein Freund für ihn geworden war.
»Wie sauer wärst du, wenn ich dich fragen würde, ob ich ein paar Tage freinehmen kann?« Er starrte auf die schwarze Flüssigkeit in seinem Becher, trotzdem entging ihm nicht, dass Derek einen verwirrten Blick mit seiner Frau wechselte.
»Überhaupt nicht«, antwortete Derek. »Du hast dir einen Urlaub mehr als verdient.«
»Denk lieber nach, bevor du Versprechungen machst, Anwalt. Ich habe keine Lust, loszufahren und dich dann mitten in der Nacht an der Strippe zu haben, nur weil ich irgendeinen miesen Drecksack für dich aufstöbern soll …«
»Von mir hörst du keinen Ton, Dodge. Du bist längst urlaubsreif. Und sollte irgendetwas sein, während du weg bist, kann es bis nach deiner Rückkehr warten.«
»Einen Teufel kann es. Schon möglich, dass du nichts dagegen hast, wenn ich eine Weile weg bin, aber die Wichtigtuer, die für dich arbeiten, würden regelrecht ausflippen. Dabei reden die sowieso nur mit mir, wenn sie was wollen; nach dem Motto ›Wann kriege ich endlich die Hintergrundinformationen, Dodge?‹ oder ›Wann kommen Sie dazu, sich den Typen mal anzusehen?‹ und so.«
»Die Kanzlei läuft eben nicht ohne dich.«
»Genau das meine ich ja. Wenn ich ein paar Tage weg wäre, würde der ganze Laden zusammenbrechen.«
Dodge war eine enorme Hilfe bei der Lösung des Falls gewesen, in den Julie verstrickt gewesen war. Der Mord an Paul Wheeler war eine echte Tragödie gewesen, trotzdem hatten Derek und Julie es diesem Fall zu verdanken, dass sie einander gefunden hatten. Anfangs hatte Dodge Julie für eine manipulative Lügnerin oder sogar Schlimmeres gehalten. Sie hatte seine Feindseligkeit und seine Verdächtigungen mit großer Würde ertragen und schien sie ihm nicht nachzutragen. Vielleicht mochte sie ihn ja sogar.
Er sah sie an. Was vielleicht ein Riesenfehler war, denn sie musterte ihn mit unverhohlener Besorgnis. In seiner derzeitigen Verfassung war das womöglich noch gefährlicher als der instinktive Scharfsinn ihres Mannes.
»Ich hoffe, deine Bitte um eine Auszeit hat keine gesundheitlichen Gründe«, sagte sie sanft.
»Du meinst, ich brauche vielleicht etwas Zeit, weil ich an Lungenkrebs sterbe? Nein, nein, das ist es nicht«, erwiderte er, als er bemerkte, dass ihre Besorgnis in aufrichtige Angst umschlug. »Nicht dass ich wüsste. Zumindest noch nicht.« Er betastete seine Jacketttasche, um sicherzugehen, dass die Zigarettenschachtel noch darin steckte. Aber er würde eher die Mona Lisa anpissen, als sich in ihrer Küche eine Zigarette anzuzünden.
Er wandte sich wieder an Derek. »Vergiss es. War blöd, überhaupt zu fragen.« Er legte sich die Hand aufs Herz. »Die Firma braucht mich, und auch wenn Loyalität sonst ein Fremdwort für mich ist, hinter Mitchell and Associates stehe ich natürlich voll und ganz.«
»Hör auf mit dem Blödsinn. Was ist los?«
»Was los ist? Gar nichts. Ich wollte nur …«
»… ein paar Tage freinehmen, schon klar, und ich habe gesagt, dass das kein Problem ist. Aber jetzt fängst zu plötzlich an, mit mir herumzudiskutieren. Wieso?«
»Es gibt keinen Grund dafür. War eine Schnapsidee, das ist alles. Ich dachte, ich verziehe mich mal für ein paar Tage, aber …«
»Hattest du schon etwas Konkretes im Auge, wo du hin wolltest?« Derek grinste. »Eine dieser Tropeninseln, von denen du pausenlos schwärmst? Eines dieser National-Geographic -Paradiese, wo alle Frauen oben ohne herumlaufen?«
»Schön wär’s.«
»Wohin willst du dann?«
»In ein Hinterwäldlerkaff am Arsch von Texas.«
Dodge hätte sich am liebsten geohrfeigt. Es war nicht seine Absicht gewesen, damit herauszuplatzen.
Derek starrte ihn sekundenlang verdattert an. »Hat das Kaff auch eine Postleitzahl?«, fragte er dann.
Dodge hob die Schultern. »Egal. Ich fahre sowieso nicht.«
Einige Momente lang herrschte Stille. Dodge registrierte, wie Derek und Julie sich einen weiteren fragenden Blick zuwarfen. »Und was gibt es in Texas so
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