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Blindwütig: Roman

Titel: Blindwütig: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz , Bernhard Kleinschmidt
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allerdings voraus, dass ich mich von der Seite oder von hinten auf ihn stürzte.
    Barfuß bewegte ich mich wie in Zeitlupe vorwärts, in einem geduckten Affengang, bei dem ich alle Muskeln anspannen musste, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Mein Ziel war ein Sessel, der an der Wand stand, gleich rechts von der Stelle, an der sich die erloschene Tastatur der Alarmanlage befand.
    Mit hängenden Schultern und Armen ließ ich die Fingerspitzen leicht und geräuschlos über den Teppichboden gleiten. Falls eines meiner Knie nachgab oder sich ein Muskel verkrampfte, konnte ich mich so mit den Händen abstützen.
    Ein Geräusch zu machen fürchtete ich weniger, als in der Finsternis mit Waxx zusammenzustoßen. Selbst dann war meine Strategie aber nicht völlig sinnlos, denn vielleicht war er so überrascht, dass ich ihn überwältigen konnte, bevor er mich erschoss oder mir ein Messer in den Leib rammte.
    Ich war einen Meter achtzig groß und in annehmbarer körperlicher Verfassung. Dennoch machte ich mir keine Illusionen, dass der massige Körper des Kritikers nur aus Fett bestand. Bestimmt war es nicht einfach, ihn schachmatt zu setzen.
    Im Rückblick wird mir klar, dass ich in meiner Verzweiflung dachte, ich könnte mein Vorgehen planen wie einen literarischen Text. Dabei waren Thriller gar nicht mein Genre. Da mich das Schicksal jedoch in eine reale Gefahrensituation
geworfen hatte und ich keine Nahkampferfahrung besaß, verließ ich mich auf meine schriftstellerische Fantasie, um eine Wendung herbeizuführen, die nicht schon in einem der ersten Kapitel für meinen Tod sorgte.
    Obwohl ich überhaupt nichts sah, fand ich den Sessel dort vor, wo ich ihn erwartet hatte. Das ließ mich hoffen, dass ich der Hauptdarsteller dieser Story war und nicht bloß eine Nebenfigur, der ein rasches, blutiges Ende drohte.
    Anderswo im Zimmer sagte der Kritiker leise: »Schmierfink!«, ohne dass durch dieses eine Wort sein Standort festzustellen war.
    Offenbar meinte er damit nicht sich selbst, wozu er gute Gründe gehabt hätte, sondern wollte meine schriftstellerischen Qualitäten madig machen.
    Neben dem Sessel stand ein Sideboard im Art-déco-Stil. Sein dick lackiertes Tropenholz fühlte sich kühl an, als ich mit den Fingern darüberstrich.
    Unser Doppelbett stand an der Ostwand des Zimmers. Wahrscheinlich hatte Waxx sich am Fußende postiert, wo er mich und Penny sofort im Blick hatte, sobald er seine Taschenlampe anknipste.
    Ich wiederum befand mich in der Nähe der Südwand und wollte einen Bogen nach Westen schlagen, um hinter den Eindringling zu gelangen. Dann hatte ich die beste Ausgangsposition für einen Angriff, wenn er sich endlich verriet.
    Auf das Sideboard folgte ein zweiter Sessel. Als ich ihn berührte, hielt ich inne, weil ich plötzlich Angst bekam, mich weiterzubewegen. Wieder grübelte ich darüber nach, weshalb Waxx mich oder uns nicht gleich umgebracht hatte, nachdem er in unser Haus eingedrungen war. Mir wurde immer klarer, dass hier etwas geschah, was ich bisher nicht richtig eingeschätzt hatte.

    Vom Geschichtenschreiben her war mir diese Situation nur zu vertraut. Exakte literarische Entwürfe waren reine Zeitvergeudung. Wenn man den Figuren freie Hand ließ, entwickelten sie sich so, wie man es niemals erwartet hätte. Sie führten die Handlung an Orte, auf die man nie gekommen wäre, und sie brachten Themen ans Tageslicht, die man womöglich nicht erforschen wollte. Dadurch formten die Figuren das Geschehen, das umgekehrt Auskunft über sie gab. Die Menschen in einer Geschichte begannen gewissermaßen als frisch gepflanzte Samen, die knospten und schließlich auf eine Art und Weise erblühten, auf die der Autor nicht vorbereitet war, genau wie echte Menschen ihn mit ihren Absichten und Fähigkeiten häufig überraschten.
    So auch in diesem Fall. Als ich da neben dem zweiten Sessel hockte, verpasste Shearman Waxx mir einen Elektroschock.

11
    Aus der Dunkelheit presste sich etwas an meinen Hals - zwei Metallstifte, der positive und der negative Pol. Bevor ich zurückzucken konnte, bohrten sich heiße Nadeln in mein Rückgrat, um sich dann durch jeden Zweig meines peripheren Nervensystems zu fädeln, bis in die Zehen, die Fingerspitzen und die Kopfhaut.
    Geblendet von einer Vision goldener und purpurroter Feuerwerkskörper, verdrehte ich die Augen und sank aus der Hocke zu Boden. Bäuchlings auf dem Teppichboden liegend, zuckte ich vor mich hin, als hätte mich ein Puppenspieler an den Fäden

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