Blindwütig: Roman
Vermutung war das mentale Gegenstück zu einem Stromstoß mit dem Taser.
Trotz allem, was Clitherow mir über die Ähnlichkeiten in den Rezensionen von Mr Bluebird und One O’Clock Jump erzählt hatte, war ich bisher einer Täuschung aufgesessen. Ich hatte automatisch angenommen, er sei von Waxx deshalb aufs Korn genommen worden, weil er an dessen Zeitung geschrieben hatte, während es mein Fehler gewesen sei, den Großkritiker in Roxie’s Bistro unter die Lupe zu nehmen. Nun dämmerte mir eine andere Möglichkeit.
Was Waxx mit Clitherows Familie und uns angestellt hatte, stellte sich nicht weniger irrsinnig, aber wesentlich logischer dar, wenn man annahm, dass sein Plan, uns zu töten, schon vor der Erscheinung der Rezensionen existiert hatte. Eher unwahrscheinlich war es hingegen, dass sein zweimaliges Eindringen in unser Haus samt dem Elektroschock-Angriff und den raffinierten Bomben eine spontane Reaktion auf die Begegnung in der Herrentoilette gewesen war, gerade mal einen halben Tag nach Milos kurzer Pinkelattacke.
Nun verstand ich auch, weshalb Clitherow gesagt hatte, Waxx habe keine fundierten Meinungen, aber ein Ziel. Dieses Ziel zu identifizieren war von entscheidender Bedeutung, wenn wir überleben wollten.
»Was hältst du von dem Geldgrab in Balboa?«, fragte Penny, während sie auf die Küstenstraße zum Pazifik abbog.
Marty war Architekt und Celine Immobilienmaklerin, aber in erster Linie waren die beiden Unternehmer. Jahrelang hatten sie geschickt Immobilien zum Grundstückspreis erworben und die daraufstehenden Bauten abreißen lassen, um neue Häuser zu errichten und mit Profit weiterzuverkaufen.
Normalerweise hatten sie gleichzeitig zwei Projekte in Arbeit gehabt, manchmal sogar drei. Glücklicherweise hatten sie die Immobilienkrise vorhergesehen. Als die Preise ins Bodenlose fielen, hatten sie nur noch ein Objekt zu verkaufen gehabt.
Weil es sich um eine Villa am Hafen von Balboa Island handelte, weil das Haus seit zwei Jahren ohne jedes Kaufangebot auf dem Markt war und weil sie damit keinerlei Profit machen würden, nannten sie es ihr Geldgrab in Balboa.
Als sie Penny vor dem Abflug die Schlüssel zu ihrem eigenen Haus überlassen hatten, da hatten sich am selben Ring auch die der Villa befunden. Penny hatte die Aufgabe, eventuelle Interessenten dort herumzuführen, falls ausgerechnet jetzt welche auftauchen sollten.
»Klingt vernünftig«, sagte ich. »Probieren wir es aus.«
21
Von der Straße aus war das Geldgrab in Balboa ein hübscher, moderner Bau mit Kalksteinfassade und zwei riesigen Garagentoren.
Mit einer Fernbedienung am Hausschlüssel konnten die Tore geöffnet werden. Penny parkte auf dem einzigen leeren Platz neben drei Pick-ups, alles perfekt restaurierte Oldtimer. Marty besaß eine Sammlung von Pritschenwagen, die zu groß für seine eigene Garage war.
Aus dem Kofferraum nahmen wir zwei Reisetaschen mit dem Nötigsten für Penny und mich, außerdem einen der gewaltigen Rollkoffer, den Milo unbedingt brauchte. Das behauptete er jedenfalls.
Penny kannte den Code für die Alarmanlage.
Sobald Lassie im Haus war, sprang sie davon, um sämtliche Zimmer zu erforschen, wie es jeder Hund tat, den man an einem unbekannten Ort von der Leine ließ.
Das Anwesen umfasste zwei Grundstücke, und auf der zum Hafen gewandten Seite waren die Wände vom Boden bis zur Decke verglast. An dem privaten Landungssteg konnte bestimmt ein zwanzig Meter langes Boot anlegen.
Der Blick war fantastisch. Segel- und Motorboote jeder Größe tummelten sich auf den breiten Kanälen, allerdings nicht so viele wie an schönen Sommertagen.
Eine schnittige weiße Jacht von beträchtlicher Länge fuhr motorgetrieben auf den Ozean hinaus. Ich beobachtete sie mit Neid, nicht wegen des Reichtums ihrer Eigentümer, sondern
wegen deren sorgloser Existenz und der Freiheit, die ihnen das offene Meer bot. Kaum vorzustellen, dass sie je von einem Irren mit Fliege oder meinetwegen auch Krawatte verfolgt wurden.
Weil leere Räume abschreckend wirkten, war das Geldgrab professionell ausgestattet worden. Irgendwelche Käufer hatte das zwar nicht angelockt, aber durch die Möbel war das Haus fast so gemütlich wie unseres.
Während Penny, Milo und Lassie sich einrichteten, zog ich los, um mir per Scheck Bargeld zu besorgen und ein Wegwerfhandy zu kaufen. Außerdem brauchten wir Proviant und Getränke für mindestens einige Tage.
Ich ließ die drei nur äußerst ungern allein, aber Penny behauptete steif und
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