Blindwütig: Roman
Augen zu öffnen, fragte sie: »Wie sind die alle gestorben?«
»Das hat er nicht gesagt. Ich werde versuchen, es herauszubekommen.«
»Bist du sicher, dass du wirklich mit Clitherow gesprochen hast?«
»Seine Stimme hatte ich vorher noch nie gehört, aber sicher bin ich mir trotzdem.«
»Könnte es nicht Waxx gewesen sein, der uns dadurch terrorisieren wollte?«
»Nein. So weit kenne ich dessen Stimme schon, um sie unterscheiden zu können.«
Nach kurzem Schweigen öffnete sie die Augen, die klar wie Eiswasser waren, und sagte: »Unseren Milo bekommt dieses Ungeheuer nicht in die Finger.«
»Es bekommt niemanden von uns in die Finger«, versicherte ich ihr. Dabei fragte ich mich, wie ich dieses Versprechen wohl einlösen konnte, aber ich wollte zumindest mein Leben einsetzen, um es zu versuchen.
Penny drückte mir einmal rasch die Hände, ließ sie los und wandte sich wieder ihrem Computer zu. »Ich will noch mehr von diesen miesen Ergüssen lesen, um festzustellen, ob ich den Kerl, der das von sich gegeben hat, besser verstehen kann. Inzwischen … solltest du schon mal die Alarmanlage einschalten.«
22
Zuerst einmal ging ich nach nebenan, um mich mit Milo zu unterhalten.
An einem wolkenverhangenen Tag wie diesem wies das polarisierte Glas der dreifachen Fensterscheiben keine Tönung auf. Das Haus war nach Südosten ausgerichtet, und an hellen Vormittagen wurden die Scheiben dunkler, um das einfallende Licht zu dämmen, ohne den Blick einzuschränken. Der war noch genauso spektakulär wie damals, als ich ihn während der Bauzeit das erste Mal gesehen hatte.
Ich setzte mich auf das Sofa, neben dem Milo seinen Arbeitsplatz aufgebaut hatte.
»Geht’s gut?«, fragte ich.
»Ziemlich.«
»Aber nicht ganz.«
Er zuckte die Schultern, blickte jedoch unverwandt auf seinen Bildschirm. »Unser Haus … das tut weh.«
»Wir bauen ein anderes Haus.«
»Ich weiß. Aber es wird nicht mehr so sein wie früher.«
»Es wird sogar noch besser sein«, versprach ich.
»Vielleicht. Möglich ist das schon.«
Auf seinem Bildschirm ließ er etwas rotieren, das aussah wie der dreidimensionale Entwurf einer komplexen, Silo-ähnlichen Struktur mit zahlreichen übereinander angeordneten Kammern.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Weiß nicht recht.«
»Wo ist es hergekommen?«
»Das versuche ich gerade rauszukriegen.«
Nach kurzem Schweigen fragte ich: »Hältst du mich eigentlich für einen Trottel?«
»Nein.«
»Früher oder später«, erklärte ich ihm, »hält jedes Kind seinen Alten für einen Trottel.«
Sechsjährige, kam mir dabei in den Sinn, drückten offen ihre Zuneigung aus, während die meisten Teenager sich eine Weile mürrisch zurückzogen oder gar blanke Feindseligkeit zur Schau stellten. Waren sie dann zwanzig, hatten sie sich von ihrem hormonalen Aufruhr erholt, aber eine gewisse Zurückhaltung erworben.
Milo war chronologisch sechs, intellektuell gut zwanzig und emotional etwa zehn bis elf Jahre alt. Wenn es emotional wurde, war ihm das manchmal peinlich, aber es kränkte ihn noch nicht.
Ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, sagte er: »Ich werde dich nie für einen Trottel halten.«
»Abwarten. Du wirst schon sehen.«
»Nie«, sagte er und kaute auf seiner Unterlippe.
»Ich hab dich lieb, Milo.«
Er nickte. »Klar.«
Als ich merkte, dass ich ebenfalls auf meiner Unterlippe kaute, wechselte ich das Thema. »Wo ist Lassie?«
Milo zeigte auf zwei Schranktüren rechts neben dem großen Plasmabildschirm der Entertainment-Anlage.
»Sie ist in dem Schrank da drin?«, fragte ich.
»Ja.«
»Hast du sie da reingesperrt?«
»Nein.«
»Deine Mutter hat sie jedenfalls nicht da reingesperrt.«
»Nein.«
»Also ist sie selbst reingegangen?«
»Ich glaube schon. Es gefällt ihr da.«
Ich ging hinüber und öffnete die Türen, auf die Milo gezeigt hatte.
Tatsächlich saß Lassie in dem tiefen Schrank. Grinsend schaute sie zu mir heraus und wedelte mit der Schwanzspitze.
»Wieso will sie denn in einem Schrank sitzen?«, fragte ich Milo.
»Ich glaube, sie mag dieses Ding nicht.«
»Welches Ding?«
»Dieses Ding im Computer, von dem ich nicht weiß, was es ist.«
»Also hat sie sich davor im Schrank versteckt?«
»Ich glaube nicht, dass sie sich versteckt.«
»Was tut sie dann?«
»Vielleicht meditiert sie«, sagte Milo.
»Hunde meditieren nicht.«
»Manche schon.«
»Komm da raus«, forderte ich Lassie auf. »He, komm schon, Süße!«
Sie regte sich nicht vom Fleck.
»Na schön«,
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