Blink! - die Macht des Moments
genannte Big Five Inventory (BFI), auf Deutsch auch bekannt
unter dem Namen Fünf-Faktoren-Modell, das die Persönlichkeit eines Menschen anhand von fünf zentralen Dimensionen beurteilt:
Extraversion:
Sind Sie gesellig oder zurückgezogen? Sind Sie offenherzig oder verschlossen?
Verträglichkeit:
Sind Sie im Umgang mit anderen vertrauensvoll oder misstrauisch? Hilfsbereit oder unkooperativ?
Gewissenhaftigkeit:
Sind Sie organisiert oder chaotisch? Sind Sie willensstark oder entscheidungsschwach?
Emotionale Stabilität:
Sind Sie gelassen oder leicht aus der Ruhe zu bringen? Unsicher oder sicher?
Offenheit für neue Erfahrungen:
Sind Sie phantasiebegabt oder bodenständig ? Unabhängig oder angepasst?
Nachdem die Studenten den Fragebogen ausgefüllt hatten, bat Gosling deren Freunde oder gute Bekannte, anhand desselben Fragebogens
die Persönlichkeit ihres Freundes zu beurteilen. Gosling wollte herausfinden, wie dicht unsere Freunde an die Wahrheit |42| herankommen, wenn sie uns beurteilen sollen. Die Antwort ist wenig überraschend: Unsere guten Freunde können uns recht zutreffend
beschreiben. Sie haben eine dicke Scheibe an Erfahrungen mit uns und können daher ganz gut sagen, wie wir sind.
Nun führte Gosling den Test ein zweites Mal durch, jedoch nicht mit Freunden oder Bekannten. Diesmal wählte er Menschen aus,
die die Studenten, die sie beurteilen sollten, noch nie im Leben gesehen hatten. Alles, was diese Menschen zu sehen bekamen,
waren die Wohnheimzimmer. Er drückte seinen Testern ein Klemmbrett mit einem Fragebogen in die Hand und gab ihnen 15 Minuten
Zeit, sich in einem der Zimmer umzusehen und ein paar einfache Fragen über dessen Bewohner zu beantworten: Ist er ein gesprächiger
Mensch? Tendiert er dazu, an anderen herumzumäkeln? Arbeitet er gründlich? Ist er originell? Zurückhaltend? Hilfsbereit und
selbstlos? Und so weiter. »Ich wollte ganz alltägliche Eindrücke untersuchen,« sagt Gosling. »Also habe ich den Testern ganz
bewusst nicht gesagt, wonach sie suchen sollten. Ich sagte ihnen einfach: ›Hier ist der Fragebogen. Geht in das Zimmer und
schaut es euch genau an.‹ Es ging mir um intuitive Entscheidungsprozesse.«
Die Ergebnisse waren überraschend. Die Leute mit dem Klemmbrett, die nur die Wohnheimzimmer zu sehen bekamen, konnten die
Extraversion des Bewohners natürlich lange nicht so gut beurteilen wie deren gute Freunde. Um festzustellen, ob jemand gesprächig,
offen und lebendig ist, man muss man ihn schon in der Interaktion mit anderen Menschen kennen lernen. Auch was die Verträglichkeit
angeht, ob also die betreffende Person eher vertrauensvoll oder hilfsbereit ist, konnten die Freunde etwas besser beurteilen.
Doch in den anderen drei der fünf Faktoren schnitten die Fremden besser ab als die Freunde. Sie konnten besser einschätzen,
wie sorgfältig die Testperson war, und auch in puncto emotionale Stabilität und Offenheit für neue Erfahrungen kamen sie der
Wahrheit näher als die Freunde. Alles in allem verstanden die Fremden also mehr von der Persönlichkeit ihres jeweiligen |43| Studenten als dessen Freunde. Das heißt nichts anderes als dass Menschen, die uns nie getroffen haben und die sich 15 Minuten
lang bei uns zu Hause umschauen, uns besser einschätzen können als Freunde, die uns schon seit Jahren kennen. Vergessen Sie
also die endlosen Kennenlernrunden und Mittagessen: Wenn Sie wissen wollen, ob ich gut zu Ihrer Firma passe, dann schauen
Sie besser bei mir zu Hause vorbei und stöbern ein bisschen in meiner Wohnung herum.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie – wie die meisten Menschen – die Schlussfolgerungen Samuel Goslings ziemlich unglaublich
finden. Aber nach allem, was Sie über John Gottman gelesen haben, sollten sie das nicht mehr sein. Goslings Experiment ist
nichts anders als ein weiteres Beispiel dafür, wie unser Unbewusstes eine Situation in dünne Scheibchen schneidet. Immerhin
nehmen die Tester den intimsten Ort der Testperson unter die Lupe, und an solchen privaten Orten finden sich in der Regel
Hinweise in Hülle und Fülle über unsere Persönlichkeit. Laut Gosling findet man in einem Zimmer oder einer Wohnung dreierlei
Hinweise auf die Persönlichkeit des Bewohners: Da sind zum einen unsere Identitätsmarker, die wir ganz bewusst setzen, weil
wir von der Welt in einer bestimmten Art und Weise wahrgenommen werden wollen: zum Beispiel ein gerahmtes Universitätsdiplom
mit der Beurteilung
Weitere Kostenlose Bücher