Blink! - die Macht des Moments
»summa cum laude«. Als zweites begegnen wir den Ablagerungen des Alltags, mit denen wir unbewusst Hinweise
auf unsere Persönlichkeit geben, zum Beispiel schmutzige Wäsche auf dem Fußboden oder eine alphabetisch geordnete CD-Sammlung.
Schließlich sind da Dinge, mit denen wir unsere Gedanken und Gefühle regulieren. In unserer Privatsphäre nehmen wir Veränderungen
vor, die dafür sorgen sollen, dass wir uns wohl fühlen: Wir stellen eine Duftkerze auf das Nachttischchen oder arrangieren
Dekorkissen auf unserem Bett. Wenn Sie sich in einer Wohnung umsehen und dort ein Universitätsdiplom an der Wand hängt, die
CD-Sammlung alphabetisch geordnet ist, die Wäsche ordentlich im Schrank gestapelt wurde und auf einem Tischchen |44| eine Duftkerze steht, dann lernen Sie auf einen Blick Aspekte der Persönlichkeit des Bewohners kennen, die Sie vermutlich
nie zu Gesicht bekommen würden, wenn Sie ihn nur in Gesprächen und im Umgang mit anderen Menschen erleben. Wenn Sie je im
Bücherregal oder im Medizinschränkchen eines neuen Freundes oder einer neuen Freundin gestöbert haben, dann wissen Sie, was
ich meine: Manchmal erfahren Sie mehr über einen Menschen, wenn Sie einen kurzen Blick auf seine intimsten Orte werfen, als
wenn Sie Stunden mit seiner nach außen zur Schau gestellten Persönlichkeit zubringen.
Natürlich ist es genauso wichtig, sich daran zu erinnern, womit wir
nicht
zu tun haben, wenn wir uns nur in der Wohnung eines Menschen umsehen. Wenn Sie jemanden nicht von Angesicht zu Angesicht kennen
lernen, sind Sie nicht mit all den widersprüchlichen, verwirrenden und letztlich unwichtigen Informationen konfrontiert, die
Ihr Urteil nur unnötig schwierig machen. Die wenigsten von uns können sich vermutlich vorstellen, dass ein 135 Kilogramm schwerer
Boxer ein sonderlich heller Kopf sein kann: Wir kommen nicht über unser Vorurteil vom buchstäblich bekloppten Typen hinaus.
Wenn wir dagegen von diesem Menschen nur seine Wohnung mit Büchern und Kunstdrucken an den Wänden sehen würden, dann hätten
wir dieses Problem nicht.
Auch das, was Menschen über sich selbst sagen, kann reichlich verwirrend sein, aus dem einfachen Grund, weil wir uns selbst
nicht objektiv einschätzen können. Aus diesem Grund werden Testpersonen in Persönlichkeitstests nie direkt gefragt, was sie
von sich selbst halten. Stattdessen erhalten sie ausgeklügelte Fragebögen wie etwa das Fünf-Faktoren-Modell, die bestimmte
Charakterzüge indirekt herausfiltern sollen. Direkt befragt, könnte eine Testperson lügen, sich schämen oder, was wahrscheinlicher
ist, gar nicht
wissen,
ob er oder sie beispielsweise introvertiert oder hilfsbreit ist. In Beziehungen haben wir uns häufig so tief verstrickt oder
sind so selbstvergessen glücklich, dass wir nicht mehr objektiv sagen können, wie wir uns tatsächlich verhalten. |45| »Paare haben keine Ahnung, wie sie klingen«, sagt Sybil Carrère aus John Gottmans Liebeslabor. »Wir zeichnen ihre Unterhaltung
auf und spielen ihnen nachher das Video vor. In einer unserer letzten Studien haben wir Paare befragt, was sie aus der Untersuchung
gelernt haben, und die Mehrheit war überrascht zu sehen, wie sie sich in Konfliktsituationen verhalten und was sie kommunizieren.
Ich erinnere mich an eine Frau, die wir als extrem emotional eingestuft hatten und die nachher sagte, sie habe ja überhaupt
keine Ahnung gehabt, wie gefühlsbetont sie reagiere. Sie selbst habe sich für eine stoische Person gehalten, die wenig von
ihren Gefühlen preisgibt. So wie ihr geht es vielen. Sie halten sich für entgegenkommender oder ablehnender, als sie tatsächlich
sind. Wenn sie sich das Band ansehen, stellen sie fest, dass sie mit ihrer Selbsteinschätzung völlig danebenliegen.«
Wenn Paare selbst nicht wissen, wie sie miteinander kommunizieren, warum sollte man sie dann dazu befragen? Deshalb lässt
Gottman seine Testpersonen auch nicht über ihre Ehe sprechen, sondern über etwas, das in ihrer Ehe eine Rolle spielt, wie
etwa ihr Haustier oder ihre erste Begegnung. Er beurteilt das Paar anhand von indirekten Hinweisen: Gefühlen, die über das
Gesicht einer Person huschen, Schweiß auf den Handflächen, ein plötzlicher Anstieg der Pulsfrequenz, ein versteckter Unterton.
Gottman nähert sich der Frage gewissermaßen durch die Hintertür, und hat dabei festgestellt, dass er der Wahrheit damit näher
kommt, als wenn er mit der Vordertür ins Haus
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