Blink! - die Macht des Moments

Und sie beantworteten beide Fragen mit nein und sagten Sachen wie: ›Ich glaube, ich bin einfach nicht gut
     genug für diese Uni.‹«
    |64| Die Resultate dieser Experimente sollten uns nachdenklich machen. Sie legen den Schluss nahe, dass das, was wir unseren »freien
     Willen« nennen, möglicherweise weitgehend eine Illusion ist. Die meiste Zeit scheinen wir von einem Autopiloten gesteuert
     zu werden, und unsere Gedanken und Handlungen – und nicht zu vergessen deren Qualität – werden viel stärker von unserer Umwelt
     beeinflusst, als wir wahr haben wollen. Ich meine allerdings, es hat auch seine Vorteile, dass unser Unbewusstes im Stillen
     arbeitet. Wie lange haben Sie gebraucht, um aus den Satzfragmenten im obigen Beispieltest ganze Sätze zu bauen? Ich nehme
     an, Sie haben für keinen der Sätze mehr als ein paar Sekunden gebraucht. Das ist schnell, und Sie konnten diese kleine Aufgabe
     nur deshalb so rasch erledigen, weil Sie in der Lage sind, sich auf eine Sache zu konzentrieren und jede Form der Ablenkung
     auszublenden. Wenn ich Sie gebeten hätte, die Liste nach bestimmten Mustern zu durchsuchen, dann wären Sie sicher länger beschäftigt
     gewesen und wären leichter abgelenkt worden. Die Hinweise auf das Alter haben Ihren Schritt schwerer werden lassen – aber
     ist das etwas Schlimmes? Ihr Unbewusstes teilte Ihrem Körper einfach mit: Ich habe hier ein paar Hinweise, dass wir uns in
     einer Umgebung befinden, die etwas mit Alter zu tun hat – am besten verhalten wir uns entsprechend. Ihr Unbewusstes hat sich
     in diesem Fall wie eine Art mentaler Butler verhalten und sich um die Kleinigkeiten des Alltags gekümmert. Es hat die Augen
     für all das offen gehalten, was sich um Sie herum abspielte und dafür gesorgt, dass Sie sich angemessen verhalten. Es hat
     Ihnen damit den Rücken freigehalten und ermöglicht, dass Sie sich auf die eigentliche Fragestellung konzentrieren.
    Das Team der Universität Iowa, das den Test mit den roten und blauen Kartenstapeln entwickelte, wurde vom Neurologen Antonio
     Damasio geleitet. Damasios Team hat einige faszinierende Erkenntnisse darüber gewonnen, was passiert, wenn zu viel unseres
     Denkens vor dieser verschlossenen Tür stattfindet. Damasio untersuchte Patienten, die Verletzungen in der kleinen, aber wichtigen |65| Hirnregion namens ventromedialer präfrontaler Cortex oder Vorderstirnlappen erlitten hatten. Diese Region liegt hinter der
     Nase und spielt eine wichtige Rolle bei Entscheidungsprozessen. Hier werden unvorhergesehene Entwicklungen und Beziehungen
     verarbeitet, die Berge von Informationen sortiert, die auf uns einströmen, das Unwichtige aussortiert und all das mit einem
     Ausrufezeichen versehen, was unsere unmittelbare Aufmerksamkeit erfordert. Menschen, deren Vorderstirnlappen beschädigt ist,
     handeln völlig normal und rational. Sie können hochintelligent sein und in gesellschaftlichen Zusammenhängen angepasst leben
     – was ihnen fehlt, ist die Urteilsfähigkeit. Um in dem Bild von eben zu sprechen, in ihrem Unbewussten fehlt der mentale Butler,
     der ihnen erlaubt, sich auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren. In seinem Buch
Descartes’ Irrtum
beschreibt Damasio den Versuch, mit einem seiner Patienten, dessen Vorderstirnlappen beschädigt ist, einen Termin zu vereinbaren:
    Ich besprach mit demselben Patienten seinen nächsten Besuch im Institut. Dazu schlug ich ihm zwei Termine zur Auswahl vor,
     die beide in den kommenden Monat fielen und nur ein paar Tage auseinander lagen. Der Patient nahm seinen Terminkalender heraus
     und begann, in ihm zu blättern. Nun legte er ein äußerst bemerkenswertes Verhalten an den Tag, das mehrere meiner Kollegen
     beobachtet haben und bezeugen können. Fast eine halbe Stunde lang zählte er Gründe für und gegen die beiden Termine auf. Bestehende
     Verabredungen, mögliche Wetterverhältnisse: praktisch alles, was man bei einer so simplen Frage berücksichtigen kann. Er zwang
     uns, einer ermüdenden Kosten-Nutzen-Analyse zu folgen, einer endlosen Aufzählung und einem überflüssigen Vergleich von Optionen
     und möglichen Konsequenzen. Wir mussten uns sehr beherrschen, um uns all das anzuhören, ohne mit der Faust auf den Tisch zu
     schlagen und ihm zu sagen, er solle nun endlich zu einem Entschluss kommen.
    Antonio Damasio und sein Team ließen die Vorderstirnlappen-Patienten auch den Test mit den roten und blauen Karten machen. |66| Die meisten stellten irgendwann fest, dass die