Blink! - die Macht des Moments
teilnimmt. »Ich bin 26«, erwiderte sie. »Meine Freundinnen haben alle feste
Partner, zum Teil noch aus der Schule. Ein paar sind schon verheiratet oder heiraten demnächst, und ich bin immer noch Single,
und ich denke mir,
oh Mann!«
Kailynn stand ein wenig abseits am Tresen der Bar, die eine Wand des Raumes ausmachte. »Wenn Sie sich gut unterhalten, dann
sind die sechs Minuten ruckzuck um. Wenn nicht, können es die längsten sechs Minuten Ihres Lebens sein«, erklärt sie mir,
während die Paare im Hintergrund nervös plappern. »Manchmal passieren die komischsten Dinge. Ich werde nie diesen Typen aus
Queens vergessen, der letzten November mit einem Dutzend Rosen aufgelaufen ist und jedem der Mädchen eine gegeben hat. Er
hatte einen Anzug an.« Sie lächelte fast unmerklich. »Der meinte es richtig ernst.«
Speed-Dating hat sich in den letzten Jahren rund um den Erdball zu einem echten Hit entwickelt, und die Gründe sind leicht
nachzuvollziehen. Hier wird der Prozess des Kennenlernens auf ein einfaches Spontanurteil reduziert. Jeder, der sich an eines
der Tischchen setzt, versucht, eine einfache Frage zu beantworten: Möchte ich diese Person noch einmal wiedersehen? Und um
das herauszufinden, benötigt man keinen ganzen Abend. Ein paar Minuten reichen völlig aus. Velma, eine der vier Damen von
Anne Klein, sagte hinterher zum Beispiel, sie habe sich von keinem der Männer angezogen gefühlt und habe sich jedes Mal sofort
entschieden. »Schon beim Hallo war’s vorbei«, sagte sie und verdrehte |69| die Augen. Ron, Analyst in einer Investmentbank, fand zwei der Frauen interessant, eine davon nach anderthalb Minuten Konversation
und die zweite, Lillian von Tisch zwei, gleich in dem Moment, in dem er sich zu ihr setzte. »Sie hatte ein Zungenpiercing«,
sagte er mit Bewunderung in der Stimme. »Wenn Sie zu einer Veranstaltung wie dieser kommen, dann erwarten Sie einen Haufen
Anwälte. Aber das Mädel tanzt echt aus der Reihe.« Lillian fand ebenfalls Gefallen an Ron. »Wissen Sie, warum?«, fragte sie.
»Er kommt aus Louisiana. Ich finde den Akzent klasse. Und ich habe meinen Stift fallen gelassen, nur um zu sehen, wie er reagiert,
und er hat ihn gleich aufgehoben.« Es stellte sich heraus, dass Ron einer ganzen Menge von Frauen vom ersten Moment an gefiel,
und dass Lillian bei den Männern sehr populär war. Beide hatten offenbar eine besondere Art, Menschen für sich zu gewinnen.
»Wissen Sie, die Frauen haben’s echt raus«, sagte Jon, ein Medizinstudent im blauen Anzug, am Ende des Abends. »Sie wissen
von der ersten Minute an, ob sie einen Typen mögen, ob sie ihn ihren Eltern vorstellen können, oder ob es nur ein Typ für
eine Nacht ist.« Jon hat natürlich Recht mit seiner Beobachtung, aber er unterschätzt die Fähigkeiten seiner Geschlechtsgenossen.
Wir haben es alle recht gut raus, potenzielle Partner zu beurteilen.
Aber stellen wir uns einmal vor, wir würden die Regeln des Speed-Dating ein bisschen verändern. Was wäre, wenn wir versuchen
würden, hinter die verschlossene Tür zu sehen, und die Teilnehmer bitten würden, ihre Entscheidungen zu erklären? Wir wissen
natürlich, dass so etwas nicht geht: Das Räderwerk unseres Unbewussten läuft immer im Verborgenen. Was aber wäre, wenn wir
die Teilnehmer
trotzdem
bitten würden, ihre ersten Eindrücke und Spontanentscheidungen zu erklären? Genau das haben Sheena Iyengar und Raymond Fisman,
zwei Professoren der Universität Columbia, getan. Dabei stellten sie fest, dass etwas sehr Merkwürdiges und Verwirrendes passiert,
wenn man Menschen bittet, ihre Entscheidungen zu erläutern. Was zunächst aussah wie |70| eine einfache Übung im Scheibchenschneiden, verwandelt sich mit einem Mal in einen hochkomplizierten Prozess.
Sheena Iyengar und Raymond Fisman sind ein ungewöhnliches Paar: Iyengar ist Inderin, Fisman Jude, sie ist Psychologin, er
Wirtschaftswissenschaftler. Die beiden haben nur deshalb angefangen, sich für Speed-Dating zu interessieren, weil sie sich
einmal auf einer Party darüber gestritten hatten, ob eine Heirat, die von den Eltern der Brautleute arrangiert wird, genauso
gut sein könne wie eine Liebesheirat. Die beiden Wissenschaftler führen ihre Speed-Dating-Abende im Hinterzimmer einer Bar
am New Yorker Broadway durch, gegenüber dem Campus der Universität Columbia. Im Grunde verlaufen sie genauso wie Speed-Dates
im Rest der Welt, mit einem kleinen Unterschied.
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